: „Die Freiräume sind extrem eng geworden“
Das Junge Schauspiel Hannover nimmt als dritte Sparte des Niedersächsischen Staatstheaters am Freitag den Spielbetrieb auf – mit der Premiere von „Romeo und Julia“. Intendant Wilfried Schulz über Experimente, Mobilität und viel zu volle Terminkalender
WILFRIED SCHULZ, 55, ist seit 2000 Intendant des Niedersächsischen Staatstheaters, zu dem Schauspiel und Staatsoper Hannover gehören. Zuvor war er Chefdramaturg des Hamburger Schauspielhauses.
taz: Herr Schulz, das Bremer Theater hat seit 30 Jahren das Kinder- und Jugendtheater Moks, Braunschweig begann vor 23 Jahren mit dem „Theaterspielplatz“ – warum gründet Ihr Haus in Hannover erst jetzt ein eigenes Jugendtheater?
Wilfried Schulz: Das Jugendtheater ist bei uns eine Entwicklung: Es ist nicht so, dass wir von null auf hundert fahren. Wir haben in den letzten sieben Jahren zunehmend für Jugendliche gespielt und Projekte mit Jugendlichen gemacht. Es hat sich herausgestellt, dass es gerade in dem Bereich des Spiels mit Jugendlichen eine riesige Nachfrage gibt.
Woher kommt die?
Die Jugendlichen entdecken das Theater zunehmend als Freiraum für sich, in dem es um Kreativität geht, aber nicht im Sinne einer brutalen Konkurrenz, sondern im Sinne eines gemeinsamen Findens. Das ist gewachsen von Spielzeit zu Spielzeit. Vor eineinhalb Jahren bin ich dann an den Punkt gekommen, das gern institutionalisieren und etatmäßig absichern zu wollen.
Was machen Sie künftig im Jungen Schauspiel Hannover, was Sie nicht vorher auch schon gemacht haben?
Es gibt zwei große Weiterungen: Die eine ist, dass wir das Altersspektrum öffnen. Es gibt nun pro Jahr zwei Produktionen, die für Jugendliche ab zwölf gemacht sind. Die andere ist, dass wir nun auch, das Haus verlassen und zu den Jugendlichen zu gehen, die das Theater nicht von sich aus suchen. Da gibt es beispielsweise ein Projekt mit jungen türkischen Migranten, die man an ihren Orten erstmal suchen muss. Es wird Autos geben, die in die Stadt reinfahren und sich vor Jugendheime stellen. Das Ganze wird zu einem Großteil getragen von Leuten, die auch bisher bei uns waren. Und es ist mit Heidelinde Leutgöb eine neue Leiterin hinzugekommen.
Welche finanziellen Kapazitäten stehen Ihnen für die neue Sparte Jugendtheater zur Verfügung?
Das hängt davon ab, was man da reinrechnet und was nicht. Es sind etwa 500.000 bis 600.000 Euro, die neu zum Gesamtetat des Hauses dazukommen – vom Land, der Stadt, der Region, von verschiedenen Stiftungen und von Sponsoren aus der Wirtschaft. Wenn ich dann rechne, was wir nochmal aus der Vorhandenen Infrastruktur reinstecken, dann kann man sagen: Der Gesamtetat des Jungen Schauspiels liegt deutlich über einer Million und unter 1,5 Millionen.
Wie groß wird der Anteil des Jugendtheaters an den gesamten Aktivitäten des Hauses sein?
Wir machen insgesamt sieben volle Produktionen, dazu kommen vier kleinere und die mobilen Aktivitäten – ich würde sagen, dass das ein gefühltes Drittel ausmacht.
Dann nehmen Sie das Jugendtheater ja sehr ernst.
Ja. Mir geht es darum, diese Arbeit zu machen, weil ich sie für gesellschaftlich notwendig halte. Ich finde es ein Symbol, dass das Jugendtheater eine eigene Sparte hat und eine eigene Leitung. Bei Vorworten schreibe ich im Moment immer: Wir geben den Jugendlichen die Bühne. Im richtigen Leben gehört die Welt ihnen ganz oft nicht. Sondern sie müssen sich anpassen und sich die Lücken suchen.
Was hat sich in den letzten Jahren gesellschaftlich verändert, dass dieser Freiraum für die Jugendlichen nötig wird?
Wir machen gerade ein „Romeo und Julia“-Projekt mit 30 Jugendlichen, das am Freitag Premiere haben wird. Wenn Sie mit diesen Jugendlichen – vom abgebrochenen Hauptschüler, der überhaupt nicht weiß, wo er jemals einen Job finden soll, bis hin zum angehenden Journalistik-Studenten – sprechen, dann ist es so, dass die Welt, in der sie Leben, extrem eng und reglementiert ist. Was die Leistungserwartung, und vor allen Dingen die Zeit betrifft: Wenn sie sich den Terminkalender eines 16-Jährigen anschauen, dann können Sie Ihren eigenen in die Ecke schmeißen. Früher gab es da selbstverständliche Freiräume für Jugendliche, um etwas auszuprobieren, sich selbst zu definieren oder sich gegen Dinge zu wehren. Diese Räume sind extrem eng geworden. Es geht drum, dass innerhalb des Theaters eine Persönlichkeitsbildung stattfindet, dass jeder seinen Raum und seine Stärken findet. Und dass das Finden der Stärken wichtiger ist als das Rumhacken auf Schwächen.INTERVIEW: KLAUS IRLER
Das Junge Schauspiel Hannover startet am morgigen Freitag um 19.30 Uhr mit der Premiere von „Romeo und Julia“ im Ballhof Eins, Ballhofplatz 5, in seine erste Spielzeit.