: Der Geist aus dem Bastelkeller
Roboter schnurren kleine Oper: Das Programm „¡Alegria!“ bringt spanisches Objekttheater in die Schaubude Berlin
Ein Mann sitzt mit dem Rücken zum Publikum vor einem Turm aus Möbeln und tippt wie ein Berserker in seine Schreibmaschine. Aber er produziert keine Buchstaben, das Blatt bleibt weiß. Das Telefon klingelt. Er geht ran, legt wieder auf, öffnet Schubladen, schließt sie wieder und baut am Ende den ganzen Turm ab und um. Doch die Möbel entwickeln ein Eigenleben, sperren sich gegen die reine Funktionalität und werden schlussendlich zur Projektionsfläche der Vergeblichkeit seines Tuns.
Der Mann ist der König der Einsamkeit, „El rei de la soldedat“, wie das Stück der katalanischen Gruppe Playground heißt, das gestern das Festival „¡Alegria!“ im Berliner Objekttheater Schaubude an der Greifswalder Straße eröffnet hat. Den Möbelumräumer begleitet live eingespielte Musik. Mit Knattern, Rauschen oder kleinen Beats, die mit den Geräuschen der Bühne fusionieren, und am Ende sogar mit filmischen Projektionen, die in seltener Eleganz verwoben sind mit ihrer Umwelt, entsteht ein dichtes atmosphärisches Feld, in dem nichts und alles passieren kann, offen für viele Assoziationen. Kafkas Geist ist nicht der einzige, der durch diese Szene spukt.
Das Festival „¡Alegria!“ zeigt zwei Gruppen des Objekttheaters aus Spanien, die in ganz verschiedenen Formaten Zugang zum Theater der Dingen und Objekte suchen. „¡Alegria!“ bildet dabei den Auftakt einer ganzen Reihe von Aktivitäten im Rahmen des von der EU-geförderten SONE-Netzwerks für Objekt- und visuelles Theater. SONE steht für sud-ouest-nord-est. Mitglieder sind die Schaubude Berlin, der Lindenfels Westflügel in Leipzig, die Wiener Gruppe Lilarium und die Kompania Doomsday aus Bialystock. Kopf von SONE ist Laurence Barbasetti. „Die Idee ist“, so die 36-Jährige, „ neue Sachen zu entdecken, Mut zu haben in der künstlerischen Arbeit und dabei Grenzen zu überschreiten. Das gilt für Künstler und Zuschauer.“
Mit der Verpflichtung von Playground, die an der Schaubude ab heute ihr Stück „Duet“ präsentieren, hat die Pariserin sich auch selbst einen Wunsch erfüllt und ist gespannt auf die Koproduktion im nächsten Jahr. Das Gleiche gilt für die Kompanie „Hnos. Oligor“, die in der Schaubude mit „Las Tribulaciones de Virginia“ (Die Bedrängnisse der Virginia) erwartet werden. Das lädt die Zuschauer in eine Art Hinterhof- oder Jahrmarktstheater ein. Oligor erzählt mit Spielzeugen die Liebesgeschichte von Virginia und Valentino – auf Spanisch und mit Simultanübersetzung. Doch der Himmel hängt nicht voller Geigen, sondern ist gespickt mit Drähten und kleinen Maschinen, die Jomi und sein Bruder zu einem theatralen Gesamtkunstwerk zusammengefügt haben. Aus Basteleien im Keller mit kaputten Spielzeug und profanem Schrott haben die beiden einen Theaterabend voller mechanischer Überraschungen mit der kleinen Puppe Virginia im Zentrum gezaubert.
„Ich zeige hier nur Spielzeuge“, eröffnet Oligor schüchtern, aber mit einem strahlenden Gesicht seinen Zauberkasten. Virginia selbst exisitert nur als kleine Puppe, die mal auf dem Elefanten oder unter den Zuschauern hindurch auf der Eisenbahn reitet. Im Zentrum des Zeltes entwickelt sich eine große Opernbühne für die kleine Virginia, aber auch für das pulsierende Herz des Valentinos, das aus Licht und Zahnrädern geschmiedet ist. Es gibt schnurrende Roboter, wilde Seilbahnfahrten, eine Menge Zahnräder und Sternschnuppen aus Schwarzpulver, dargeboten in einer Atmosphäre, die an Intimität zwischen Spieler und Publikum kaum zu übertreffen ist.
Oligor fragt mit diesen Mitteln nach den Grenzen zwischen Kindheit und Erwachsenenalter, und das ist plötzlich nur noch ein sehr schmaler Grat. Wer von den Zuschauern will, darf seine Geschichte dazu erzählen.
TORBEN IBS
„¡Alegria!“, bis 26. September in der Schaubude Berlin, Greifswalder Straße 81–84, www.schaubude-berlin.de