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Archiv-Artikel

Tief im Osten

PEGIDA Die Angst bleibt, doch auch der Widerstand wächst. Nach dem Angriff auf einen Asylbewerber feiern in Dresden Zehntausende ihr Bild einer bunten und offenen Stadt.

„Wie der Blümchenkaffee zur Eierschecke“

KHALDUN AL SAADI

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

Manchmal wird die „Lügenpresse“ so unwiderlegbar mit der rauen Wirklichkeit konfrontiert, dass alle Schmähungen sofort verstummen müssten. Als also der Autor dieser Zeilen am Sonntagabend nach der Berichterstattung über die Pegida-Kundgebung nach Hause radelte, musste er selbst erste Hilfe für einen jungen Migranten leisten, der vor wenigen Minuten zusammengeschlagen worden war. Unweit des Bahnhofs Dresden-Mitte taumelte ihm ein wild gestikulierender Mann entgegen. „Bitte helfen Sie mir!“

Das Gesicht blutete, zwei oder drei Zähne waren offenbar ausgeschlagen worden. „Die haben mich geschlagen, vier waren es“, berichtete er unter Tränen. „Und als ich da lag, haben sie noch getreten! Ich habe gar nichts gemacht!“ Einer der vier sei in einem nur etwa 200 Meter entfernten Hauseingang verschwunden. Gleich drei Streifenwagen nahmen später die Verfolgung der Täter auf, offenbar aber ohne Ergebnis.

Der Asylbewerber stammt aus Libyen, teilte die Polizei später mit. Weil die vier Männer an der nahen Straßenbahnhaltestelle auch „Ausländer raus!“ riefen und den Hitlergruß gezeigt hatten, gehe man von einem fremdenfeindlichen Motiv aus. Dem flüchtenden Opfer wurde noch eine Bierflasche hinterhergeworfen. Nach Recherchen der taz geht es dem Asylbewerber nach kurzer medizinischer Behandlung wieder gut.

Erst am Montag hatten „Pro Asyl“ und die Amadeu Antonio Stiftung eine Studie zu Angriffen auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte veröffentlicht. Sachsen liegt bei den Körperverletzungen mit Abstand an der Spitze, die Zahl der Anschläge auf Unterkünfte ist nach dem ungleich bevölkerungsstärkeren Nordrhein-Westfalen die zweithöchste. „Die Atmosphäre ist sehr vergiftet und die Leute haben Angst“, sagte Ali Moradi vom Flüchtlingsrat Sachsen dem Deutschlandfunk. Insbesondere montags, als zuletzt oft die Pegida-Demonstrationen stattfanden, wagten sich in Dresden viele nicht mehr aus dem Haus.

An diesem Montag aber strömten tausende Dresdner auf den Neumarkt vor der Frauenkirche. Ihr Motto: offen und bunt. Ihr Stargast: Herbert Grönemeyer („Tief im Westen“). Der Platz, der sonst bei der weihnachtlichen Christvesper mit 25.000 Besuchern nur knapp gefüllt ist, reichte diesmal nicht für alle Konzertbesucher. In nur drei Wochen hatte der Verein „Dresden – Place to be“ aus eigener Kraft das kleine Festival organisiert, um ein Zeichen für ein positiv denkendes, unverkrampftes Dresden zu setzen. Auf der großen Bühne traten Schüler des Konservatoriums ebenso dafür ein wie die großen Stars. Keimzeit, Silly, Wolfgang Niedecken. Die Slammerin Nemi El-Hassan erhielt langen Applaus, als sie die Deutschen zu einem neuen Denken aufforderte. Unter den kurzen Redebeiträgen ragte der eines muslimischen Mitbürgers heraus: „Der Islam gehört zu Sachsen wie der Blümchenkaffee zur Eierschecke“, rief Khaldun Al Saadi, Sprecher des Islamischen Zentrums in Dresden.