piwik no script img

Archiv-Artikel

Das Kriegstrauma überwinden

AUSZEICHNUNG Zwei einstige Kriegsflüchtlinge erhalten den Integrationspreis der Stiftung Überbrücken: für ihre Arbeit mit Flüchtlingen

Der Preis

■ Die Stiftung Überbrücken vergibt erstmals ihren Integrationspreis. Fortan sollen alle zwei Jahre Menschen ausgezeichnet werden, die sich für die Integration traumatisierter Flüchtlinge einsetzen. Die Lobreden halten Franz Schulz, Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, und Günter Piening, Integrationsbeauftragter des Senats. Die Verleihung in der Heilig-Kreuz-Kirche beginnt um 18 Uhr.

VON ALISSA STARODUB

Es donnert früh am Morgen. Schnell wie ein Blitz steht Pavao Hudik kerzengerade in seinem Bett und blickt aus dem Fenster. Keine Bomben. Alles gut. Er ist in Berlin. „Jene Minuten, in denen meine Stadt bombardiert wurde, werde ich nie vergessen“, sagt Hudik ruhig. Selbst im Schlaf holen ihn seine Erinnerungen ein. Hudik, inzwischen ergraut, berichtet vom Schmerz, den der Zerfall Jugoslawiens und der Krieg zwischen jenen, die einst Landsleute waren, bei ihm verursachte. Seine Augen erscheinen durch die Brille, die er trägt, unverhältnismäßig groß. Sein Blick ist fest.

Anfang der 90er Jahre war Hudik vor dem Krieg in seiner Heimat Kroatien nach Deutschland geflohen. Hier hat der Psychologe und ehemalige Parteisekretär nicht nur seine eigene Geschichte aufgearbeitet. Er unterstützt seit Jahren traumatisierte Flüchtlinge. Für dieses Engagement wird er an diesem Montag mit dem Integrationspreis der Stiftung Überbrücken ausgezeichnet – zusammen mit Begzada Alatovic. Beide arbeiten beim Verein Südost Europa Kultur.

Die beiden sind die ersten Preisträger. Künftig soll die Auszeichnung alle zwei Jahre an Persönlichkeiten verliehen werden, die sich in besonderer Weise für die Integration von traumatisierten Flüchtlingen einsetzen, teilte die Stiftung mit. Deren Ziel ist es, bewaffnete Konflikte gesellschaftlich aufzuarbeiten.

Begzada Alatovic ist mit ihrem Sohn ebenfalls vor dem Krieg auf dem Balkan geflohen. Was sie in Bosnien und Herzegovina erlebte, lässt sie nicht los. „Ich vermeide es, allein zu Hause zu sein, denn in diesen Momenten kommt die Vergangenheit wieder hoch“, sagt sie und schaut lange auf die Kaffeetasse vor sich. Dann faltet sie ihre Hände und reibt sie aneinander. Ihre Stimme bleibt dabei ganz sanft – wie immer, wenn sie spricht.

Bei ihrer Arbeit geht es jedoch nicht mehr um die (eigene) Vergangenheit, sondern darum, etwas Neues zu gestalten, erzählt die Preisträgerin. Alatovic ist Projektleiterin des Interkulturellen Garten Rosenduft auf dem Gleisdreiecksgelände, der aus einer Therapiegruppe für Frauen entstanden ist. Einst war sie selbst eine der Frauen, die hier nach einer Beschäftigung suchten, um sich von der eigenen Vergangenheit loszusagen und in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, um nicht zu Hause bleiben zu müssen. Alatovic weiß, wie wichtig es ist, etwas zu tun zu haben. In ihrer ersten Zeit in Berlin hatte sie eine Duldung für sechs Monate und keine Arbeitserlaubnis. Die bekam sie erst 2002, als sie schon 40 Jahr alt war – in einem Alter also, in dem es schwierig ist, überhaupt noch einen Job zu kriegen.

Gearbeitet hat Alatovic auch ohne Arbeitserlaubnis – ehrenamtlich. Das habe sie aus der Isolation geholt, berichtet sie, denn in dieser ersten Zeit war sie in einem Flüchtlingswohnheim untergebracht gewesen, ohne Kontakt zu Deutschen. Sie finanzierte sich ihren Deutschkurs an der Volkshochschule selbst, weil sie nicht wusste, dass die Behörden dies übernehmen.

„Ich vermeide, allein zu Hause zu sein – da kommt die Vergangenheit wieder hoch“

BEGZADA ALATOVIC

Pavao Hudik hat Deutsch in der Volkshochschule gelernt. Nach zwei Monaten Unterricht begann er, vom Krieg in seiner Heimat zu erzählen. Die neu gelernten Vokabeln sprudelten aus ihm heraus, aber auf Nachfragen konnte er nicht eingehen: Er verstand sie nicht. Heute spricht er ein fließendes, blumiges Deutsch. „Die Menschen, mit denen ich arbeite, haben rumänische, mazedonische, ungarische oder gar keine Pässe.“ Hudik klärt sie über übliche – oder als üblich angesehene – Verhaltensweisen in der deutschen Gesellschaft auf, schickt ihre Kinder in Kindergärten, Schulen und zum Lerncoaching. Und er sorgt dafür, dass die neuen Nachbarn, wie er sie nennt, den Weg zu den Ämtern finden. „Viele dort schauen weg, sehen die Probleme nicht und denken, die MigrantInnen sind blöd, weil sie nicht arbeiten“, sagt Hudik.

Dann zählt er einige der Hindernisse auf, die dem Integrationsprozess seit Langem im Weg stehen: die fehlende Arbeitserlaubnis, die zur Untätigkeit verdammt, oder die teuren BVG-Karten, die das Kennenlernen der neuen Umwelt erschweren. Integrationserfolge, so betonen beide, hängen eben auch von der Umgebung ab.

Begzada Alatovic arbeitet meist mehr als zwölf Stunden am Tag dafür, dass Menschen, die eine neue Heimat brauchen, in Berlin weniger Probleme haben, diese zu finden. Bezahlt werde sie lediglich für fünf dieser Stunden, berichtet sie. Dennoch ist sie überrascht, dass dieser Integrationspreis gerade an sie verliehen wird. Beide Preisträger interpretieren die Verleihung des Preises als Zeichen dafür, dass die Gesellschaft möchte, dass sie mehr Verantwortung tragen.