UNNÜTZES NERDWISSEN
: Auf der Bahn

Was den Waggons wohl gut zu Gesicht stünde?

Jeden Dienstag treffen wir uns am frühen Abend und drehen unsere monotonen Runden auf der Tartanbahn, Das Bein und ich. Ich nannte ihn immer „Das Bein“, weil für ihn, den Rennrad- und Laufverrückten, das Leben zu großen Teilen vom Bein abhing, eigentlich natürlich von zweien, aber lassen wir das.

„Haben wir 13 oder 14 Runden?“ – „Keine Ahnung.“ Man vergisst Welt, Verstand und Weltverstand auf diesen Runden. Eine interessante Wendung nahm unser Laufgespräch am vergangenen Dienstag. Das Bein hat noch ein drittes Hobby: Sprühen. Dass mit dem Hang zur Stadtverschönerung häufig auch ein an körperliche Liebe grenzendes Faible für S-Bahn-Modelle einhergeht, war mir neu. „Die Berliner S-Bahn ist besonders schön“, sagt Das Bein, „ich werde hier nie wegziehen können, das würde ich nicht verkraften.“ Das Bein schwärmt von den ockergelb-rot aufflammenden Waggons, die sich den Weg über die Trassen bahnen.

Das Bein ist nicht nur Athlet, sondern auch Ästhet – und Apologet der Berliner S-Bahn. „Hältst du mich jetzt für bekloppt?“, fragt er. „Quatsch“, sage ich, „aber lass uns mal über was anderes reden.“ Das Bein versteht. Sagt, es gäbe noch viel Verrücktere. „Mein Freund Bollo zum Beispiel, der kann dir was erzählen …“ Baureihe und -jahr, Spurweite, Achsformel, Fußbodenhöhe, Raddurchmesser und natürlich die Art der Lackierung: „Das betet dir der Bollo aber alles so eben mal runter …“ Dann, während wir weitere 8 oder 9 Kreise ziehen, stelle ich sie mir vor, Bollo und Das Bein, in der Dämmerung, wie sie mit glänzenden Augen die Waggons begutachten und sich überlegen, was denen gut zu Gesicht stünde. Ich höre nicht mehr hin, was Das Bein noch erzählte. Es war irgendwas mit „Karosserie“ und „sanftem Streicheln“. Unsere Runden verstrichen, und dieser Dienstag war auch wieder gelaufen.

JENS UTHOFF