: Beißen und siegen
Deutschlands Fußballfrauen stehen nach dem 3:0 über die Auswahl Norwegens im Endspiel der WM in China. Die notorische Turniermannschaft überzeugt einmal mehr durch Kraft und Wille
„Wir werden elf Spieler um sie herumpostieren“, sagte Greg Ryan, der Trainer der US-Nationalmannschaft auf die Frage, wie er gedenke, mit Marta, der Dominatorin in der brasilianischen Offensive, der Weltfußballerin des Jahres 2006, umzugehen. Natürlich, es war ein Witz. Und doch, im US-Team haben sie vor dem heutigen Halbfinale gegen Brasilien (14 Uhr, Eurosport) mächtig Respekt vor der Frau, die schon fünfmal bei dieser WM ins gegnerische Tor getroffen hat. In Wahrheit ist Leslie Osborne, die sich in den Spielen zuvor erfolgreich um die Neutralisierung der Schwedin Victoria Svensson und der Engländerin Kelly Smith gekümmert hatte, dazu ausersehen, sich um die 1,62 Meter kleine Vorzeigespielerin Brasiliens zu kümmern. Leicht wird es nicht, das weiß sie. „Sie ist echt schnell, und der Ball klebt an ihrem Fuß.“ Was sie gegen Marta machen will? „Nichts Besonderes.“ Ob das reicht? TAZ
AUS TIANJIN MARKUS VÖLKER
Man kannte sich. „Jeder weiß von allen alles“, wusste Silvia Neid im Vorfeld zu berichten. Die Bundestrainerin wusste beispielsweise, dass Norwegen mit einer 4-3-3-Formation aufläuft, dass Ragnhild Gulbrandsen bereits fünf Tore im Turnierlauf geschossen hat, dass beide Teams 28-mal gegeneinander gespielt haben und dass die deutsche Mannschaft zwölfmal gegen Norwegen gewonnen hat, bei elf Niederlagen. „Es geht um kleine Nuancen, ob man gewinnt oder verliert“, so die DFB-Trainerin. Ja, das alles wusste Silvia Neid. Was sie nicht wusste, war, dass ihre Mannschaft auf die gütige Mithilfe des Gegners vertrauen konnte, um das Halbfinalspiel im Olympic Sports Center in Tianjin locker und leicht mit 3:0 (1:0) zu gewinnen. Die norwegische Abwehrspielerin Trine Ronning war so frei, den Deutschen mit einem Eigentor den Weg zum Sieg zu ebnen.
Mit ihrem Eigentor bestätigte Ronning aufs Schönste ihre Mannschaftskollegin Solveig Gulbrandsen, denn die hatte vor der Partie gesagt: „Die machen Tore aus dem Nichts. Da müssen wir hellwach sein. Ein kurzer Augenblick der Unachtsamkeit oder Unkonzentriertheit kann uns das Spiel kosten.“ Dabei sollte dieses Spiel doch als Revanche dienen für das vor zwei Jahren verlorene EM-Finale. Daraus wurde nichts, denn Kerstin Stegemann erhöhte in der 72. Minute mit einem vergurkten Heber an den Innenpfosten für die komfortable Führung. Martina Müller erhöhte nur fünf Minuten später auf 3:0.
Die Norwegerinnen gaben sich in der ersten Halbzeit freilich alle Mühe, um ihre Revanchegelüste zu stillen. Sie vertrauten auf das recht flinke Kombinationsspiel, das ihnen Coach Bjarne Berntsen beigebracht hat. Es entwickelte sich ein einigermaßen ansprechendes Frauenfußballspiel. Die norwegische Defensive zeigte ein paar blitzsaubere Tacklings und robuste Fußarbeit in brenzligen Situationen, die Deutschen kamen wie erwartet stark über die linke Seite mit Kerstin Garefrekes.
Dafür klappte rechts zunächst gar nichts, einmal abgesehen vom Flankenlauf der Birgit Prinz, der zum geschenkten Einsnull führte. Melanie Behringer wurde dann auch schon in der 38. Minute ausgewechselt; Fatmira Bajramaj bezog ihren Posten im Mittelfeld. Sandra Smisek drohte das gleiche Schicksal. Neid bedeutete ihr von der Seitenlinie aus, sie möge mehr Druck machen, sonst müsse sie das Feld verlassen. Daraufhin strengte sich die Frankfurterin mehr an. Wer gedacht hatte, Norwegen beginne nach der Pause einen Sturmlauf, der sah sich getäuscht. Die DFB-Elf kam immer besser ins Spiel, erarbeitete sich Chancen durch Garefrekes und Prinz. Silvia Neid war hinterher vor allem darauf stolz, dass sich ihr Team „reingebissen“ hat in das Spiel. In der Tat, es war wieder eine kollektive Anstrengung, der Kraft- und Willensakt einer notorischen Turniermannschaft, die sich auf ihre Kondition verlassen kann, die von Spiel zu Spiel mehr Selbstvertrauen tankt und urplötzlich im WM-Finale steht. China hat die DFB-Auswahl verändert, sie haben so etwas wie eine Initiation in Fernost durchlebt. Jetzt scheuen sie sicherlich auch nicht mehr den Vergleich mit den Männern, denn Klinsmanns Sommermärchenelf hat ja seinerzeit das Semifinale gegen Italien verloren.
Die DFB-Elf zieht zum dritten Mal in ein WM-Finale ein, nebenbei hat sie China auch noch einen Rekord abgeluchst. Neids Team blieb bei einer WM länger ohne Gegentor als die Kickerinnen aus dem Reich der Mitte; Tordifferenz: 19:0. Im Finale am Sonntag treffen die Deutschen auf Brasilien oder die USA. Dann geht es um den Titel – „unser nächstes Ziel“, so Neid voller Vorfreude.