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Archiv-Artikel

Rock ’n’ Roll und Rollenspiele

AUSSTELLUNG Unklar, wo es hingehen soll mit dem Leben, nur aufregend muss es sein: Das Haus am Kleistpark zeigt Fotografien von Judy Linn, die für ihre Aufnahmen von Patti Smith bekannt ist

Wir sehen Patti Smith, umringt von einem Wust aus Kleidung, Büchern, Platten

VON LUISE CHECCHIN

Bob Dylan sollte mal wieder Wäsche waschen. Weiße Laken quellen aus dem Sack neben dem Sessel, in dem er sich fläzt – die Beine lässig übereinandergeschlagen, die Haare stehen vogelscheuchenartig ab. Allerdings sind es gar nicht seine Haare. Sie gehören Patti Smith. Für die Fotografin Judy Linn gibt sie den Dylan, hält ein Porträt des Sängers vor ihr Gesicht.

Im Sommer 1968 lernt Linn in New York die gleichaltrige Patti Smith kennen. Die beiden freunden sich an und Smith erweist sich schnell als bereitwilliges Modell für die junge Fotografin.

Linn, 1947 in Detroit geboren, hatte am New Yorker Pratt Institute Kunst studiert. Erst im letzten Semester weckt ein Lehrer ihr Interesse für die Fotografie; bald kann sie nicht mehr davon lassen. Im Laufe der Jahre fotografiert Linn für zahlreiche Magazine. Ihre Arbeiten wandern in die Sammlungen renommierter Museen.

Essen oder Künstlerbedarf?

Das Haus am Kleistpark zeigt in der Schau „as if it is as it is of“ nun neben den zwischen 1969 und 1976 aufgenommenen Porträts von Patti Smith und ihren Freunden auch Linns Bilder aus den Detroiter Vororten der frühen siebziger Jahre sowie eine Auswahl ihrer späteren Arbeiten.

Ende der 1960er Jahre öffnet sich der jungen Fotografin durch Patti Smith eine Welt zwischen Prekariat und Boheme. Mit ihrer Kamera erfasst sie eine Periode des Experimentierens, die Smith durchlebte, bevor sie zur gefeierten Rocksängerin wurde: zugige, mit Sperrmüll möblierte Wohnungen, deren Bewohner sich von schlecht bezahlten Jobs über Wasser halten und sich an manchen Abenden entscheiden müssen, ob sie ihr Geld lieber für Essen oder neue Utensilien aus dem Künstlerbedarf ausgeben sollen. So beschreibt es Patti Smith in „Just Kids“, den 2010 erschienen Memoiren über ihre Freundschaft mit dem Künstler Robert Mapplethorpe, für die sie den National Book Award erhielt. Einige von Linns Bildern illustrierten schon das Buch, die Ausstellung zeigt nun weitere.

Fotografisches Tagebuch

Wie ein Tagebuch in Schwarz-Weiß wirken die Fotografien: Patti Smith in Unterwäsche auf den Dielen ihres Apartments sitzend, das Telefon am Ohr, umringt von einem Wust aus Kleidung, Büchern, Platten. Patti Smiths Gesicht im Spiegel, ein Auge zugekniffen, die Hand balanciert den Kajalstift, während man die Kamera der fotografierenden Freundin noch in einer Ecke des Bildausschnitts erkennen kann.

Dann wieder machen die vermeintlich authentischen Momentaufnahmen keinen Hehl daraus, wie viel Spaß die Fotografierte am Rollenspiel hat: Smith posiert als Pin-up vor einem schwarzen Vorhang, die Haare hochgesteckt, die Hände vor der nackten Brust verschränkt. Ein anderes Porträt zeigt Smith, die eigentlich nicht rauchte, mit Kippe im Mundwinkel, hochgezogenen Augenbrauen, abgebrüht dreinblickend – eine Hommage an den französischen Autor Blaise Cendrars.

Die Suche nach der eigenen Identität ist den Porträtierten anzumerken. Wo genau es hingehen soll mit dem Leben, das wissen sie noch nicht, aber dass es aufregend wird, daran scheinen sie keinen Zweifel zu hegen.

Szenenwechsel. Detroit, die gleiche Zeit, das gleiche Land: „Liberty“ steht auf einem Wohnwagen, ein weißer Zaun trennt ihn fein säuberlich vom Nachbarn ab. Die Freiheit, die hier gemeint ist, unterscheidet sich merklich von den Aufbruchsgefühlen der jungen New Yorker Künstler. Zwischen 1972 und 1973 arbeitet Linn als Fotografin für eine Detroiter Lokalzeitschrift. Die Welt, die sie hier vor die Linse bekommt, scheint stillzustehen: parallel verlaufende Wege durch pedantisch gemähte Vorgärten führen zu Einfamilienhäusern wie aus dem Baukasten. Linn fotografiert, was die Detroiter Vororte hergeben – mit einem Blick für das Skurrile, für die Lichtblicke der Absurdität im grauen Provinzalltag: Die stolze Gewinnerin des Hundeschönheitswettbewerbs hat die gleiche toupierte Tolle wie ihr preiswürdiger Liebling. Der alte Mann, der mit einer Hand voll Algen aus dem stillen Wasser eines Sees auftaucht, könnte einem David-Lynch-Film entsprungen sein.

Fotos wie ein Witz

Die Suche nach dem Unbeachteten bestimmt auch Linns spätere Arbeiten. Das Betrachten eines Fotos müsse funktionieren wie ein Witz, sagt sie: „nicht wissen, was man damit anfangen soll, aufgeben, dann die Pointe verstehen und lachen“. Damit ist ihre Methode gut auf den Punkt gebracht: Zusammenhänge herstellen, wo sie niemand erwartet, Details aufzeigen, die so niemand sieht. Etwa der Mann im Museum: Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass der Baseballspieler, der seine Jacke ziert, die gleichen fließenden Bewegungen macht wie die abstrakten Figuren auf dem Matisse-Gemälde neben ihm. Oder das Foto einer Stellwand, deren abgeranzte Hässlichkeit den Horror amerikanischer Großraumbüros heraufbeschwört: in die obere Ecke ist ein Smiley gezeichnet.

Lachen, auch wenn es wenig zu lachen gibt. Ein unaufdringlicher, heiterer Blick auf die Welt ist es, der die Fotografien Judy Linns auszeichnet.

■ „as if it is as it is of“: Fotografien von Judy Linn, Haus am Kleistpark, Grunewaldstraße 6/7, Schöneberg, bis 15. März