Sein existentielles Bedürfnis

JUNGE PARISER BOHEME Der schwerreiche Sammler Antoine de Galbert gewährt mit „My Paris“ im me Collectors Room erstmals Einblick in seine umfangreiche Kollektion zeitgenössischer französischer Kunst

„Sammeln ist eine Art künstlerische Produktion“

ANTOINE DE GALBERT

Antoine de Galbert macht ein Foto von seinen Zuhörern. Locker zieht er sein iPhone aus der Tasche, klick, Blitz. So als wäre er amüsiert darüber, wie viele Menschen in den „me Collectors Room“ gekommen sind, um Teile seiner Sammlung anzuschauen. „My Paris“ heißt die Ausstellung, die Werke aus der jungen französischen Kunstszene jetzt erstmals den Berlinern näher bringen möchte. Zu sehen ist ein Sammelsurium verschiedener Arbeiten aus Skulptur, Malerei, Zeichnung, Fotografie, Video und Collage.

Dem Sammler, der sich selbst als „bescheiden“ beschreibt, nimmt man die nonchalante Freude über die Ausstellungseröffnung wirklich ab.

Lässiges Kunstverständnis

Wer dem eleganten Franzosen nun aber druckreife Zitate über die Pariser Kunstlandschaft entlocken möchte, wird enttäuscht, denn seine Lässigkeit zieht sich bis in sein Kunstverständnis hinein. „My Paris“, das sei ja eher so ein bisschen ironisch gemeint. All die bedeutungsvollen, historischen Assoziationen mit der Pariser Kunst gelten heute nicht mehr. Junge Künstler seines Landes vereine kein nationales Bewusstsein. „My Paris“ sei Ausdruck eines persönlichen, subjektiven Blicks auf zeitgenössische französische Kunstschaffende. Doch als Besucherin erwischt man sich selbst dabei, das System hinter de Galberts Sammlung erkennen zu wollen, wenn man an einem der Werke hängen bleibt.

Zum Beispiel am großen, unendlich traurig blickenden Spaghettimonster von Théo Mercier. Die große Skulptur empfängt einen gleich im Vorraum, sitzt auf einem Hocker und scheint bitterlich zu weinen, am ganzen Körper. Dann gerät man in den Bann unrhythmischer E-Gitarrenklänge, mal lauter und tiefer, mal leiser und höher. Die Suche nach der Quelle endet beim Highlight der Ausstellung. In einem von Céleste Boursier-Mougenot gestalteten hohen, hellen Raum flattert eine Schar hübscher Zebrafinken aufgeregt zwitschernd umher und setzt sich bisweilen auf eine der aufgestellten, verstärkten E-Gitarren. Das ergibt nur selten harmonische Klänge und hört sich mehr nach Soundcheck an. Weil man nie weiß, wie viele der Vögel sich gerade für einen Rundflug entscheiden, wo sie auf welcher Gitarre Platz nehmen, wird das Zuschauen und Zuhören nicht langweilig. Bedenken hiesiger Behörden, die zarten Vögel könnten darunter leiden, musste erst eine zoologische Prüfung aus dem Weg räumen.

Was de Galbert über seine Sammlung erzählt, klingt so einfach, dass es bisweilen fast wieder pathetisch wirkt. „Nur wenn ich sammle, bin ich frei“, sagt de Galbert etwa und meint damit, dass er sich bewusst unabhängig von Markt und Trend umschaut. Kunst sammle er aus dem existenziellen Bedürfnis heraus, eine Ausdrucksform zu finden. Seine Sammlung sei „introspektiv“. Sammler, denen es bloß darum gehe, Werke am Markt aufstrebender Künstler anzuhäufen, sind ihm zuwider. Als Erbe des Einzelhandelsunternehmens Carrefour, zu dem eine Supermarktkette gehört, kann de Galbert auf den Kunstmarkt pfeifen. Vom Laster der Hintergedanken an Preis- und Trendentwicklung befreit, sammelt er alles, was sein Interesse weckt. Dazu gehören international bekannte Künstler ebenso wie Werke der Art Brut und Kunst jenseits etablierter Sparten. „Kunstsammeln ist auch eine Art künstlerischer Produktion“, findet de Galbert, der in Paris das Kunsthaus La Maison rouge betreibt. „Intellekt und Intuition werden dabei gleichermaßen beansprucht.“

Absurdes, Komisches findet so neben eher nachdenklichen Werken Platz, ein Spiel aus humorvollen und ernsten Aspekten verleiht der Berliner Ausstellung etwas erfrischend Aufgelockertes.

Gewollt politisch

Gewollt wirken dagegen die vermeintlich „politisch“ angehauchten Werke, wie der große, auffällig platzierte Neonschriftzug „Strike“ des Künstlerduos Claire Fontaine. Dieser hört nämlich auf zu leuchten, wenn man sich ihm nähert – „subversiv“, schwärmen de Galbert und die Galeristinnen. Überhaupt leidet die Ausstellung etwas an ihrer Neigung zu Plakativität. Doch die ist zu verzeihen, lohnt sich der Besuch doch allein schon wegen der musikalischen Zebrafinken. „My Paris“ ist zudem Teil eines Sammleraustauschs. Thomas Olbricht, Gründer des me Collectors Rooms, ebenfalls Sammler aus Leidenschaft und langjähriger Freund de Galberts, stellt gleichzeitig zu „My Paris“ im Pariser La Maison rouge aus. Er weiß noch einfachere und pathetischere Dinge über Kunst zu sagen. „Wir verstehen uns über Kunstwerke“, beschreibt er die Freundschaft zu de Galbert. Ein geschmeicheltes, breites Grinsen huscht über dessen Gesicht.

Kunstwerke als Vermittler, Sammeln als Leidenschaft, als existentielles Bedürfnis, das klingt einfach zu schön, um es nicht zu glauben. Da möchte man sich diesen Kunstliebhaber-Blick aneignen und damit durch die Ausstellung streifen. Eventuell benötigte Nachhilfe gibt de Galbert dabei höchstpersönlich – per Videoguide.

Carla Baum

■ „My Paris“ – Collection Antoine de Galbert. Bis 8. Januar 2012 im me Collectors Room, Auguststraße 68. Dienstag bis Sonntag 12–18 Uhr www.me-berlin.com