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Archiv-Artikel

„Es braucht einen dritten Weg“

FINANZKRISE Die Europa-Debatte dreht sich im Kreis, sagt Attac-Mitglied Steffen Stierle. Was fehlt, sei eine europäische Vision jenseits von Neoliberalismus und Nationalismus

Steffen Stierle

■ ist Ökonom und Mitglied im Koordinierungskreis von Attac. Der 29-Jährige ist derzeit an der Vorbereitung der Proteste beteiligt, die für Samstag in rund 50 deutschen Städten angekündigt sind. Im Rahmen eines globalen Aktionstages werden Proteste in 80 Ländern weltweit erwartet.

INTERVIEW MARTIN KAUL

taz: Herr Stierle, für das Wochenende ruft Attac gemeinsam mit anderen Gruppen zu Protesten auf. Verstehen Sie überhaupt noch, was in Europa derzeit passiert?

Steffen Stierle: Wir erleben derzeit eine Schuldenkrise, in der mit Steuermitteln Banken gerettet werden. Und wir erleben eine Politik, die diese Krise nicht löst, sondern verstärkt. Der Eurorettungsschirm ist ein Instrument zur Umverteilung von unten nach oben.

Diese Parole ist schon hundert Jahre alt. Woran machen Sie das konkret fest?

Nehmen wir Griechenland. Das Land bekommt sein Geld nur unter Auflagen, die direkt in die Rezession führen: Einkommenskürzung, Sozialabbau und höhere Mehrwertsteuern – das ist klassische Rezessionspolitik. Die Zeche zahlt die griechische Bevölkerung. Auch in Deutschland werden wegen der massiven Mehrausgaben künftig wieder die Empfänger staatlicher Transferleistungen bluten. Arbeitende Kleinverdiener sollen mit Steuern und Verzicht die Bankenkrise finanzieren. Von dieser europäischen Dumpingspirale profitieren andere: Unternehmen im Exportsektor, Banken und reiche Privatpersonen, die zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben und der jetzigen Krise kaum herangezogen werden.

Wenn das so klar ist, wie Sie meinen: Wieso demonstrieren dann nicht schon längst tausende Menschen auch in Deutschland?

Wir wollen ja am Samstag in Deutschland zeigen, dass es nicht egal ist, was gerade passiert. Es soll in 80 Ländern weltweit Proteste geben. Dabei treten wir in Deutschland aber gegen zwei dominante Trends an, die beide gefährlich sind.

Was meinen Sie?

Es wird so getan, als gäbe es nur zwei Alternativen: Zum einem ein Ja zu einem nicht veränderten, neoliberalen Europa, das lediglich so modifiziert wird, dass es in der gewohnten Weise weiterfunktionieren kann – mit allen Folgen, die wir derzeit betrachten. Oder zum anderen ein Zurück in den Nationalstaat. Wer die aktuelle Politik ablehnt, riskiert es, in die Nähe von Rechtspopulisten gerückt zu werden. Das ist gefährlich, weil es alternativlos wirkt.

Wie lautet die Lösung?

Wir brauchen einen dritten Weg. Ein gemeinsames Europa, eines der Solidarität und des Ausgleichs.

Sorry, das hört sich wieder an wie eine Phrase. Was wäre denn solidarisch: Griechenland pleitegehen zu lassen?

Ein solidarischer Umgang mit der Krise wären zinsfreie oder zumindest zinsniedrige Kredite für die Defizitländer. Ergänzend müssten bestimmte Schulden erlassen werden. Aber nicht nach dem Rasenmäherprinzip, sondern gezielt. Dazu eignet sich ein Schuldenaudit.

Was ist das?

Das könnte ein Verfahren sein, indem detailliert und transparent untersucht wird, welche Schulden Griechenlands illegal und illegitim sind. So könnte gezielt betrachtet werden, welche Großspekulanten auf ihr Geld verzichten können und müssten – und wer in dieser Krise nicht noch zusätzlich dran glauben darf.

Ein solidarisches Europa wird man sich was kosten lassen müssen. Ist das in Deutschland zu vermitteln?

Natürlich kostet das, das ist klar. Aber was kostet uns der derzeitige Quatsch? Es ist doch populistisch, so zu tun, als stünden die Bevölkerungen gegeneinander im Konflikt. Wieso werden die Kosten nicht dort veranschlagt, wo massig viel Geld da ist? Das sind die Banken, das sind die Vermögenden.