: Die Berlinale ruft inzwischen auch lieber bei Saul an
STARPOTENZIAL „Mad Men“-Autor Matthew Weiner sitzt in der Jury, und neue Produktionen wie „Better Call Saul“ finden sich im Programm: Bei den Berliner Filmfestspielen könnten ab nächster Woche die Fernsehserien dem Kinofilm teilweise den Rang ablaufen
Berlinale-Chef Dieter Kosslick liebt Slow Food, hat das Festival im Lauf der Jahre aber in das glatte Gegenteil davon transformiert. Die Berlinale ist längst eine unförmige Pizza mit allem drauf, wobei jedes Jahr immer noch was dazukommt. Bei der Vielzahl der Sektionen, Galas, Extras und Specials blickt schon lang keiner mehr durch, aber weil es keinen fahrenden Zug gibt, auf den Kosslick nicht aufspringt, gönnt er uns in diesem Jahr auch noch einen Schwerpunkt über Fernsehserien. Deklaration: Berlinale Special, das ist die Abteilung, in der das Festival traditionell alle möglichen Sorten von Resteküche serviert.
Verwunderlich ist dieser Neuzugang nicht. In Sachen kulturelles Kapital, Experimentierlust und Starpotenzial haben die Serien dem Kino in den USA den Rang abgelaufen. Die namhaftesten Regisseure, Produzentinnen, Darsteller und Autorinnen sind jetzt fürs Fernsehen (oder eher das, was einmal Fernsehen war und sich inzwischen in Streamingdienste und Onlinevideotheken transformiert hat) zu haben. Woody Allen, der demnächst für Amazon dreht, ist da nur der jüngste und vielleicht verblüffendste Fall.
Groß ist dagegen die Klage, dass Deutschland da hinterherhängt. In Skandinavien und anderswo kriegen sie die Sache mit den Serien auf die Reihe, wir hier bislang nicht so recht, mit sehr wenigen Ausnahmen wie Dominik Grafs/Rolf Basedows „Im Angesicht des Verbrechens“ oder Orkun Erteners/Lars Kraumes „KDD“, die als angebliche Flops die Regel nur bestätigen. Weil Kosslick nie ein cinephiler Kopf werden, sondern immer eine Filmfördernase bleiben wird, liegt hier auch der Hase im Pfeffer. Das Serien-Special soll zeigen, wo es international langgeht, und zugleich neueren Produktionen aus Deutschland eine Werbeplattform bieten.
Da sind Fragen wie die, ob Serien wirklich auf die große Leinwand gehören und ob es Sinn ergibt, jeweils nur ein paar Episoden in Quasi-Kinofilm-Portionierung zu zeigen, offenkundig egal. Was Prestige bringt, ist gut. Und so wurde auch Matthew Weiner, Schöpfer von „Mad Men“, in die Wettbewerbsjury geholt. Dafür darf er auch seinen bislang sehr unbeachtet gebliebenen einzigen Kinofilm, die Komödie „Are You Here“ von 2013, mitbringen – läuft auch in der Resteküche von „Berlinale Special“.
Das Angebot im Berlinale Special Serien ist, freundlich gesagt, bunt gemischt. Weniger freundlich: Ein Konzept oder kuratorischer Zugriff ist nicht zu erkennen. Wie im Rahmen des Serienhype leider üblich, bleibt das Episodische und Komische ganz außen vor, obwohl es da ja auch jede Menge Großartiges gibt. Aus den USA kommt „Bloodline“, ein Thriller aus Floridas Sümpfen, für HBO ausgeheckt vom ingeniösen Autorentrio Kessler/Zelman/Kessler. Die drei hatten in „Damages“ mit Glenn Close in der Hauptrolle fünf Staffeln lang vorgeführt, was für ein Vergnügen es sein kann, wenn man das Durcherzählen nicht – wie im Qualitätsbereich eher üblich – verlangsamt, sondern im Gegenteil heftig beschleunigt und nicht als Fortsetzung des realistischen Romans mit anderen Mitteln, sondern als narrativ ausgeklügelte Achter- und Geisterbahnfahrt begreift. Quality-TV also, das seine Wurzeln im vorabendlich wegzuguckenden Gebrauchstrash nicht vergisst. Es bleibt nur zu hoffen, dass das für „Bloodline“ ebenfalls gilt.
Von sehr viel noblerer Abkunft ist „Better Call Saul“. Als „Breaking Bad“-Mastermind Vince Gilligan in einem Interview einmal nebenbei sagte, dass die Nebenfigur des Anwalts Saul Goodman eine eigene Serie wert sei, war das nicht ernst gemeint. „Better Call Saul“ ist jetzt aber haargenau das: ein Spin-Off von „Breaking Bad“, der Quality-Überserie der vergangenen Jahre, und zwar nicht als Weitererzählung, sondern als Prequel, das die natürlich sehr zwielichtige Vorgeschichte der von Bob Odenkirk gespielten Anwaltsfigur erzählt. Die Serie läuft während der Berlinale in den USA an, erste Kritiken betonen freilich, dass sich der Reiz erst im Lauf der Folgen so richtig erschließt. Ist dann natürlich etwas blöd, nur den Anfang auf der Berlinale zu haben.
Neben den US-Serien gibt es Neues aus Italien (Korruption), Dänemark (Finanzmoguln), Schweden (Rechtspartei), Israel (Entführung des iranischen Verteidigungsministers) – und Deutschland: Jürgen Vogel spielt „Blochin“ in einer von Matthias Glasner entwickelten Serie, einen Polizisten mit schwieriger Vergangenheit; Edward Berger, letztes Jahr mit „Jack“ im Wettbewerb, führt Regie bei den ersten fünf Folgen von „Deutschland 83“, einer „RTL-Event-Serie“ um einen DDR-Spion in der BRD des Jahres 1983, die ein „internationales Autorenteam“ um die amerikanische Autorin Anna Winger zusammengerührt hat.
Auch am anderen Ort spielen die Serien eine wichtige Rolle. Im Co-Production Market sind zwei Tage dem Thema gewidmet. Hier ist dann auch Tom Tykwer zu sehen, der – für die ARD und Sky – an der aktuell ambitioniertesten deutschen Serie „Berlin Babylon“ sitzt. Für die teure Verfilmung der Berlin-Historienromane von Volker Kutscher werden noch internationale Partner gesucht. Dieses Jahr wird gedreht. 2016 sind dann womöglich die ersten Folgen in einem Berlinale Gala Extra Special zu sehen.
EKKEHARD KNÖRER
■ Die Berlinale startet am Mittwoch, den 5. Februar