Die Übernahme der Bildermacht

Fette Themenlinien: Im „Billboard Heaven“ von Luchezar Boyadjiev darf die Geschmacklosigkeit König spielen. Die Fotomontagen des Künstlers aus Sofia dringen tief in die kapitalistische Umrüstung des öffentlichen Raums ein

VON INES KAPPERT

Was eigentlich siehst du? Wenn du alltägliche und vertraute Dinge wie Werbetafeln, Reiterstandbilder, Straßenschilder anschaust? Luchezar Boyadjiev geht es mit seinen Fotomontagen, die unter dem Titel „5 Views to Mecca“ seit gestern in der just eröffneten Galerie Feinkost zu sehen sind, um den Angriff, den die westlich aufgerüstete Stadt auf das Sehen unternimmt. Der 1956 geborene Künstler und Urbanist lebt in Sofia und hat mit einigem Staunen verfolgt, wie die flackernde Buntheit des Kapitalismus das kommunistische Grau seiner Stadt vertrieben hat. Desgleichen die hurtige Renovierung der Altstadt, denn man wollte, obwohl die Stadt pleite war, zügig postkartentauglich werden. Das war wichtiger als Parks, Kinderspielplätze, die Müllentsorgung.

Bis heute erzürnt Boyadjiev dabei die Willigkeit, mit der seine Landsleute die Umerziehung ihres Blicks mitmachen. Dabei ist er kein Kulturpessimist, sondern viel gereist und gottfroh, dass der Kommunismus vorüber ist. Rückwärtsgewandtheit ist nicht sein Punkt, sondern die Kritik- und ja auch Geschmacklosigkeit, die sich insbesondere im Postkommunismus durchgesetzt hat. Neureichen-Architektur überall; wie Pilze schießen Spekulationsobjekte aus den Brachen hervor und saturieren die Stadt mit einer Billigästhetik, die ihre Bewohner verachtet oder zynisch mit ihrer Überforderung spielt. Auch Werbetafeln unterliegen in Sofia keinerlei Regulierung: je größer, je pornografischer, je frauenfeindlicher, desto besser.

Genau diese gewalttätige Ignoranz hauen seine grellen, wie überbelichtet erscheinenden Fotomontagen aus der Reihe „Billboard Heaven“ dem Betrachter um die Ohren. Sie reproduzieren und vervielfältigen die omnipräsenten Geschmacklosigkeiten und stellen die Bewohner wie Aliens in dieses Sammelsurium hinein: Dank Photoshop ihres Schattens beraubt, werden die Menschen zu geschichtslosen Figuren in einem visuellen Spiel, das ihnen buchstäblich über den Kopf gewachsen ist. „We all live in a yellow billboard, yellow billboard, yellow billboard“, schreibt Boyadjiev in eine noch leere Werbetafel hinein. Darunter in Klammern: „Repeat twice more, each time with slightly increasing enthusiasm.“ Eine zweite Reihe beschäftigt sich mit der Altstadt als der nicht weniger obligatorischen Seite des kommerziellen Umbaus. Auch hier nimmt Boyadjiev etwas weg: Den Reiterstandbildern fehlen die Reiter. Wer bemerkt den Fehler? Und: Was passiert in unserem kollektiven (Kriegs-)Gedächtnis, wenn die alten Herren auf den Rössern fehlen – und das muskulöse Tier ganz alleine die vermeintliche Übermacht der eigenen Nation repräsentiert? Boyadjiev hat auch Pferde in Paris und London fotografiert. „Ich suche immer nach einem Modus oder Raster, mit dem ich durch sämtliche Städte laufen kann“, sagt er und fügt grinsend hinzu: „Paris war übrigens die einzige Stadt, wo ich auch mal eine Frau wegretuschieren konnte.“

Wie zum Trotz gegen diese fetten Themenlinien findet sich im dritten Teil der Ausstellung eine überaus charmante Fotografie, die ganz bescheiden nicht anderes zeigt, als eine weiße Zimmerdecke im Altbau, in deren vermutlich nach Osten zeigender Ecke ein kleiner Aufkleber mit grünem, noch oben gerichtetem Pfeil klebt. Darüber steht: Mecca. Und das liest sich hier wie eine Anspielung auf die kapitalistische Bilderwelt als unsere Alltagsreligion. Mecca hat der sehenswerten Ausstellung ihren Titel gegeben.

Galerie Feinkost, Bernauer Straße 71–72, Mi.–So. 11 bis 19 Uhr, bis 14. November