: „Das ist ein Skandal“
LESUNG Ein Buch schildert die schwierigen Kämpfe der Asbest-Opfer gegen Berufsgenossenschaften
■ 55, Biologin, sitzt seit 2003 für die Grünen in der Bremischen Bürgerschaft und ist seit 2011 deren Vizepräsidentin.
taz: Frau Schön, Sie lesen heute aus Ihrem Buch „Wir klagen an – Asbest und seine Opfer“. Wird die Anklage auch gehört?
Silvia Schön: Mich erreichen immer wieder Reaktionen von Betroffenen aus dem gesamten Bundesgebiet.
Was ist mit der Politik und den Berufsgenossenschaften?
Wir als Grüne haben dazu vergangenes Jahr einen Bundesparteitagsbeschluss erwirkt, der die Umkehr der Beweislast zugunsten der Betroffenen fordert. Von anderen Parteien wüsste ich das jetzt nicht. Und was die Berufsgenossenschaften angeht: Ich gehe davon aus, die mögen mich nicht besonders.
Weil eine Behandlung sie 250.000 Euro kosten kann.
Es geht dabei um viel Geld, ja. Aktuell sterben bundesweit jährlich 1.500 Menschen an den Folgen von Asbest, die Zahl der Asbestkranken liegt bei etwa 190.000. Wenn die Erkrankung nicht durch die Berufsgenossenschaft anerkannt wird, muss die Krankenkasse für deren Behandlung aufkommen, also die Allgemeinheit. Das spart der Berufsgenossenschaft viel Geld.
Werden die Betroffenen also immer noch alleine gelassen?
Solange sie beweisen müssen, dass sie mit Asbest gearbeitet haben und ihre Krankheit daher ursächlich kommt. Die Betriebe haben aber sehr häufig keine Dokumentation gemacht – dann liegtBeweislosigkeit vor und sie werden nicht entschädigt. Es ist eines Sozialstaates nicht würdig, dass so mit den Betroffenen umgegangen wird. Das ist ein Skandal im deutschen Rechtssystem und muss dringend geändert werden, damit die Betroffenen zu ihrem Recht kommen. Aber es geht hier um ein Bundesgesetz. In Bremen können wir uns also nur dafür einsetzen, dass das geändert wird. Doch auf Bundesebene tut sich die SPD schwer.
Die Prozesse der Betroffenen dauern oft sehr lange. Warum?
In einem Fall, der schon 19 Jahre dauert, erkennt der eine Gutachter 20 Prozent Erwerbsminderung an, der andere aber 80 Prozent. Beide arbeiten nach ähnlichen Methoden. Vor Gericht ist das dann hoch strittig.
Zugleich haben viele Betroffene Angst vor der Berufsgenossenschaft...
... und wollen deshalb anonym bleiben. Das höre ich immer wieder – und für mich ist das sehr glaubwürdig. Interview: Jan Zier
18 Uhr, Nachbarschaftshaus Helene Kaisen, Ohlenhof 10