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Neues Album von Morgan GeistDie Leiden des Morgan G.

Der New Yorker Produzent hält sich an seiner großen Liebe, der Dance Music, fest, auch wenn er an ihr verzweifelt. Jetzt erscheint sein zweites Soloalbum, "Double Night Time".

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Sein Nachname ist Geist. Und wie er so da sitzt im weltläufigen Trubel einer Berliner Hotellobby - blass, mit müden Augen unter seiner auffallend hohen Stirn und hängenden Schultern, die in einem Schlabberpulli verschwinden -, wirkt Morgan Geist tatsächlich wie ein Phantom. Oft genug fühlt er sich auch so. In die Musikwelt, die er einst, vor gar nicht allzu langer Zeit entdeckte und lieben lernte, scheint er heute nicht mehr zu passen. Mit seinem Idealismus und dem Glauben an die alte Schule der Tanzmusik müsste er heute, wenn schon nicht als Gespenst, so doch als ein Auslaufmodell gelten. Da macht sich der Produzent und DJ nichts vor.

"Eigentlich kann man heute gar keine Platten mehr machen", sagt er, "es geht einfach nicht mehr. Man kann von Plattenverkäufen nicht mehr leben." Doch Morgan Geist macht seit mittlerweile 13 Jahren nichts anderes: Er produziert Musik und veröffentlicht seine Platten und die einiger befreundeter Künstler - etwa den genialischen Electropop eines Kelley Polar oder die nostalgischen Disco-Stücke von Daniel Wang - auf dem eigenen Label Environ Records. Dieses Jahr feierte Environ in Geists Heimatstadt New York seine Bar Mitzvah, jene Zeremonie, die für 13-jährige jüdische Jungs den Eintritt in die Mündigkeit und das Mannesalter markiert. Das ungewöhnliche, etwas schiefe Jubiläum hatte seine Gründe. Den zehnten Geburtstag des Label habe er verpasst, und ob es Environ zum nächsten runden Jubiläum in zwei Jahren überhaupt schaffe, zweifelt er in Zeiten des Label-Sterbens stark an.

Der etwas nörgelige und selbstkritische Tonfall, in dem Geist von Environ und seiner eigenen Musik erzählt, hat hauptsächlich mit einer Desillusionierung zu tun. Er wirkt traurig darüber, dass das Feuer der Begeisterung heute mit seinen 35 Jahren nicht mehr so lodert wie noch zu Teenagerzeiten. Bereits Ende der Neunzigerjahre, als die Tanzflächen in NYC von aufgepumptem Filter House dominiert wurden, der alte Soul- und Funk-Platten ohne viel Feingefühl ausbeutete, war seine Frustration einmal sehr groß gewesen. Doch dann schlug sie in Euphorie um, und Morgan Geist war rund um das Jahr 2000 plötzlich für einen der so rar gewordenen Paradigmenwechsel in der elektronischen Tanzmusik verantwortlich.

Mit seinem gemeinsam mit Darshan Jesrani betriebenen Projekt Metro Area sorgte er dafür, dass süße Harmonien, melodische Bassgrooves und der Klang echter Streicherensembles wieder Eingang in das Vier-Viertel-Raster der Bassdrum fanden. Die große Spiegelkugel, die wie ein Überbleibsel einer vergangenen Epoche immer noch und ziemlich müde über den Dancefloors rotierte, bekam neuen Glanz: Disco war zurück. Die Geschichte von Verzweiflung, Leidenschaft und schwuler Liebe im New York der Siebziger schien plötzlich als gemeinsamer Bezugspunkt für DJs und Produzenten verschiedenster Couleur wieder Sinn zu haben.

So berufen sich etwa die Akteure des Berliner Labels Get Physical, mit ihrem glatt gebügelten Electro Boogie und Disco House eines der zurzeit erfolgreichsten Dancelabels überhaupt, auf den Einfluss von Metro Area. Ob das Morgan Geist wohl besonders glücklich machen würde? Eher nicht. Er liebt an der Diva Disco gerade das Gegenteil: die kleinen oder auch größeren Unperfektionen seiner Angebeteten, ihre Schrullen und unberechenbaren Launen. Auf einer Mix-Compilation hat er sie vor einigen Jahren unter dem bezeichnenden Titel "Unclassics" versammelt: seine Lieblingsstücke voller schräger und kauziger Momente, in denen zum Disco-Beat etwa unvermittelt Mariachi-Bläser loströten wie im Stück "Margherita" des italienischen Komponisten Pino Massara, der unter anderem auch Lieder für Al Bano Carrisi oder Caterina Valente schrieb.

Solche versteckten, für das gewöhnliche Club-Publikum geradezu uncoolen Verbindungslinien interessieren den Musiknerd Geist. Metro Area waren mit ihrer Disco-Rehabilitierung auch nicht unschuldig daran, dass sich eine junge Generation von Produzenten der Erkundung dieser obskuren Ecken einer Ära verschrieb, die sie selbst gar nicht miterlebt hatten. Der "Cosmic Disco"-Trend um Produzenten wie Prins Thomas und Hans-Peter Lindstrøm feiert Kitsch, Gegniedel und Eso-Elektronik als Alternative zur reinen Funktionalität von Tanzmusik. Linstrøm veröffentlichte eben ein Album, das nur aus drei Stücken besteht. Mit achtundzwanzig Minuten und achtundfünfzig Sekunden langen Synthesizer-Epen spürt er den Sphärensounds eines Vangelis oder Klaus Schulze nach sowie einer Zeit, in der DJs wie Daniele Baldelli in Discotheken am Gardasee Afrobeat mit New Wave und roher Elektronik mischten.

Doch in den Clubs ist von diesem Aufbruch in eine vielgestaltige, romantisierte Vergangenheit letztendlich wenig übrig geblieben. Trotz der aktuellen Begeisterung für Cosmic oder Acts wie Hercules And Love Affair dominiert dort entweder die Sound-Design-Falle von Minimal Techno oder die Rotzelektronik von Labels wie Ed Banger und Kitsuné. Morgan Geist hingegen wird einmal mehr in seine angestammte Loge am Rand des Dancefloors gedrängt. Da, wo er neben den zwei alten Herren aus der Muppet Show seine Rolle des etwas griesgrämigen, wie aus der Zeit gefallenen Sonderlings spielen darf.

Geists Stammplatz scheint immer schon ein bisschen daneben gewesen zu sein. Als Teenager in New Jersey muss er mit seiner Vorliebe für Ultravox, Talk Talk oder Devo zwischen all den übrigen Rock-Kids wie ein Alien gewirkt haben. Zu Hause schraubte er einsam stundenlang an Synthesizern und entdeckte über diese Klänge auch eine utopische Musik aus Downtown Detroit samt ihrer Weltall- und Unterwassermythen. Seine frühen eigenen Produktionen waren geprägt von der Techno- und House-Tradition, deren klassische Elemente allerdings auf geradezu störrische Weise verdreht und verbogen wurden. Die Stücke entwickelten sich nichtlinear und sprunghaft, waren mehr instrumentale Erzählungen mit unvorhersehbaren Wendungen als simple Tracks. "Ich machte diese irrsinnigen Arrangements, bei denen es darum ging, die Zuhörer mit schnellen Wechseln zu überraschen oder gar zu schocken", erzählt Geist, "ich malte mir aus, wie DJs das tatsächlich auflegen und damit den Dancefloor total verwirren würden."

Auch heute passiert in Morgan Geists Musik mit ihrem großen Sinn für Details und ihrer Liebe zu Schnörkeln immer noch sehr viel, verwirren will er aber niemanden mehr. Im Zentrum seiner Aufmerksamkeit steht heute ein noch älteres Paradigma: der Song. "Mit 15 konnte ich den ganzen Tag am Synthesizer sitzen und nur an Sounds arbeiten", erinnert er sich, "jetzt aber will ich Musik machen. Ich liebe Songwriting. Dance Music ist allerdings nicht gerade das beste Forum dafür."

Heute erscheint ein neues Soloalbum von Morgan Geist, das notorisch schwierige zweite. Über zehn Jahre hat er gebraucht, um es im Kampf gegen widrige Umstände und die eigenen Zweifel überhaupt zu Ende zu bringen. Sein selbstkritischer Tonfall nimmt masochistische Züge an, wenn er darüber spricht: "Bei all meinen Platten denke ich vor der Veröffentlichung jedes Mal: Alle werden das hassen." Es verwundert nicht, dass Geist als alter Romantiker und Idealist sich von den aktuellen Dance-Konventionen abgewandt hat und sich seinen eigenen musikalischen Raum erschafft. Sein Album "Double Night Time" wäre unter Synthie Pop noch am besten eingeordnet. Geist hat Jeremy Greenspan von den kanadischen Popmelancholikern Junior Boys ans Mikrofon gebeten, um seine Texte über lange zurückliegende Erinnerungen, Abschied und enttäuschte Liebe zu singen.

Die Sehnsucht und die Nostalgie eines Menschen, der sich immer etwas deplatziert fühlt, sind Geists großes Thema. Ein tief trauriges Liebeslied wie "Most Of All" muss vor diesem Hintergrund natürlich auch auf die gute alte Dance Music bezogen werden. Geist spürt mit diesem Album einer klassischen Phase der Pop-Avantgarde nach, in der Experiment, Massenappeal und das ganz große Gefühl sich nicht ausschließen mussten. Jene Phase, in der sich seine eigene Leidenschaft für Musik und besonders für elektronische Klänge entwickelte. Heute findet diese Musik eher als Utopie auf dem Dancefloor der Außenseiter und Traumtänzer statt. In einem Rückzugsraum für all jene, denen es ähnlich ergeht wie Morgan Geist. Mit etwas bösem Willen könnte man sie Nostalgiker schimpfen - sie trügen die Bezeichnung vermutlich wie einen Ehrentitel.

Und doch schüttelt Morgan Geist heute öfter den Kopf über sich selbst. Weil er glaubt, jener alternde, griesgrämige Nerd zu sein, der er nie werden wollte. Schuld ist die Leidenschaft. Denn er kann nicht lassen von der idealisierten Liebe zu seiner Diva und all ihren Schrullen und Launen. Geist ist ein verzweifelter Liebhaber, ein romantischer Antiheld. Er ist der junge Werther der elektronischen Musik, der Walther von der Vogelweide des Avantgarde-Pop. Er weiß, dass er sich mit seinen auf Vinyl gepressten Minnegesängen gemessen an herkömmlichen Verwertungslogiken keine großen Hoffnungen machen darf. Aber er ist eben auch ein verliebter Sturkopf. Mit seinen idealistischen, vielleicht ein wenig naiven Auffassungen hält er fest an seiner alten, seiner ewigen Leidenschaft. Er kann gar nicht anders.

<typohead type="5">Morgan Geist: "Double Night Time" (Environ/Alive) www.environrecords.com</typohead>

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