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Archiv-Artikel

„Der Funke ist übergesprungen“

DEUTSCHLAND 40.000 gehen auf die Straße. Auch Leute, die nicht zum linken Spektrum zählen

Eine Frau, die sich zu den kritischen Aktionären zählt, demonstrierte, um von der Politik mehr Aufklärung und Transparenz bei der Krisenbewältigung zu fordern

AUS FRANKFURT UND BERLIN F. DACHSEL UND F. LEE

Der junge Mann am Mikrofon zeigt auf die hohen Gebäude des Frankfurter Bankenviertels und schreit: „Die da oben können nur eins, große Türme bauen und große Scheiße.“ Die Menge jubelt, applaudiert und schwenkt Pappschilder. „Ihr spekuliert mit unserem Leben“, steht auf einem Schild, „Banken in die Schranken“, auf einem anderen.

Zwischen 5.000 und 7.000 Menschen liefen am Samstagnachmittag durch Frankfurts Bankenviertel – deutlich mehr, als von der Polizei und den Organisatoren des Protests erwartet. Beide hatten mit „vielleicht tausend“ gerechnet. In Berlin waren es mindestens ebenso viele. Für die Abschlusskundgebung vor dem Kanzleramt waren gerade mal 300 angemeldet. Zu Tausenden gingen FinanzmarktkritikerInnen auch in Köln, Hamburg, Stuttgart, München und Leipzig auf die Straße. Am Ende des Tages bilanzierte das globalisierungskritische Netzwerk Attac deutschlandweit mehr als 40.000 Kapitalismuskritiker in etwa 50 Städten. „Der Funke ist übergesprungen, die Bewegung ist da“, freute sich Max Bank vom Attac-Koordinierungskreis.

In Berlin und Frankfurt fiel auf den Demonstrationen vor allem eines auf. Es waren nicht nur die üblichen Verdächtigen auf der Straße. „Es kamen auch Leute, von denen man sonst den Eindruck hatte, dass sie nicht zum linken Spektrum gehören“, bemerkte Alexis Passadakis, langjähriges Attac-Mitglied und in den vergangenen Jahren bei nahezu jeder globalisierungskritischen Großdemo in Deutschland mit dabei.

Ähnlich das Protestspektrum vor dem Kanzleramt in Berlin. Dort gab es nicht einmal ein Fronttransparent. Und auch Attac-Fahnen, die die Proteste gegen Finanzmärkte und Sozialabbau sonst dominieren, waren am Samstag rar. Aber auch Parteifahnen oder Transparente von Gewerkschaften und linken Splittergruppen gab es nur vereinzelt. Stattdessen hielten Protestierer selbst gemachte Pappschilder in der Hand, auf die sie mit schwarzem Edding ihre Parolen geschrieben hatten. Ein 66-jähriger Kleinanleger, der einen Teil seines Vermögens 2008 beim Zusammenbruch der Lehman-Bank verloren hatte, hielt ein Schild mit der Aufschrift: „Menschen vor Profite“. Eine Frau Anfang 40, die sich zu den kritischen Aktionären zählt, demonstrierte, um von der Politik mehr Aufklärung und Transparenz bei der Krisenbewältigung zu fordern. Daueraktivist Tadzio Müller, der 2009 vor allem die Klimaproteste zu Kopenhagen organisiert hatte, zeigte sich beeindruckt von den Anwesenden: „Das Interessante an der Demo war: Es gab keine Blöcke.“ Blöcke und Sektiererei bildeten sich in der Regel beim Abschwung einer alten Bewegung. Dass diese Blöcke nun fehlten, zeige, dass etwas Neues im Entstehen sei.

Wie es nun mit dem Protest in Deutschland weitergeht, ist ungewiss. Das Camp vor dem EZB-Gebäude in Frankfurt mit etwa 20 Zelten soll nur bis Mittwoch bestehen bleiben. Und auch der Versuch einiger DemonstrantInnen am Samstag, vor dem Reichstagsgebäude in Berlin ein Protestcamp zu errichten, schlug fehl. Die Polizei räumte die ersten aufgeschlagenen Zelte noch in derselben Nacht vom Platz.

Neben Anmeldungen für Demonstrationen in Berlin, Düsseldorf und Kiel hat Attac anlässlich des EU-Gipfels für den kommenden Samstag zu weiteren dezentralen Aktionen aufgerufen. „Wir haben den Eindruck, dass es eine gewisse Dynamik gibt“, sagte Passadakis. „Die muss nun genutzt werden.“