: One to watch
AUSSTELLUNG Von einem, der nicht nur Gebäude, sondern soziale Räume schafft: der Architekt David Adjaye im Münchner Haus der Kunst
VON K. ERIK FRANZEN
Im Gegensatz zum Profisportler gilt ein Architekt noch mit knapp 50 Jahren gemeinhin als „one to watch“, jemand mit „Potenzial“, selbst wenn er knapp vor dem Durchbruch zum Superstar steht. David Adjaye, in Tansania geborener Architekt, Jahrgang 1966, wird gerne als ein solches Talent beschrieben. Dabei gibt es wahrscheinlich niemanden seiner Generation, der auf ein in Breite und Tiefe vergleichbares Werk zurückschauen kann.
Im Münchner Haus der Kunst sind nun 45 der Arbeiten zu sehen, die seit der Gründung des Büros „Adjaye Associates“ im Jahr 2000 entstanden sind. Seine bisher größte Überblicksschau ist eine faszinierende Reise, die von einem erzählt, der nicht nur Gebäude, sondern soziale Räume schafft.
Bei einem Rundgang im Haus der Kunst zeigt sich Adjaye als freundlicher, zurückhaltender und doch kommunikativer Typ: Der Diplomatensohn versteht sich blendend mit dem nur wenige Jahre älteren Okwui Enwezor, Direktor des Hauses und weltweit agierender Großkurator – demnächst auch in Venedig. Ihre evidentesten Schnittmengen sind Internationalität und Diskursivität ihres Ansatzes, Ernsthaftigkeit bei aller Leichtigkeit in der Form und ihre afrikanische Herkunft. Gemeinsam gehen sie bei ihrer Führung voran, unterhalten sich gut gelaunt, immer ihrem Publikum zugewandt.
Enwezor hat die Ausstellung „Form – Gewicht – Material“ gemeinsam mit Zoë Ryan von The Art Institute Of Chicago kuratiert. Glücklicherweise werden die titelgebenden Begriffe nicht bloß nüchtern durchbuchstabiert, sondern en passant miterzählt. Nicht nur Modelle, sondern auch begehbare Installationen, Möbel, Zeichnungen, Skulpturen, Filme und Fotografien sowie Materialproben machen Adjayes Intentionen, Referenzen und Arbeitsprozesse sichtbar und begreifbar.
Zu Beginn seiner Karriere schuf der noch junge Architekt hauptsächlich private Wohnräume, oft für befreundete Künstler. Ein ganz in Weiß gehaltener Teil der Ausstellung entspricht der Privatheit und Intimität seines damaligen Ansatzes: Im Mittelpunkt stehen die Bedürfnisse der Klienten, die im Dialog erkundet und beantwortet werden. Oft werden die Gebäude zur Straße hin abgeschottet, im übrigen Haus rahmen Fenster gezielt Perspektiven, die Weite und Ruhe ermöglichen.
Im Nachbarraum wird es bunt, lebendig, aufregend. Basierend auf dem Prinzip von Storyboards werden die Projekte erläutert, die Adjaye für den öffentlichen Raum entworfen hat. Auch in seinem Londoner Büro dominieren diese Erzählwände, die Suchbewegungen gleichen und die Genese seiner Arbeiten offenlegen: Planansichten des jeweiligen Objekts korrespondieren mit Umgebungsfotos von Gebäuden, mit Aufnahmen von Personen oder historischen Ereignissen, dazu kommen Bevölkerungs- oder Migrationsstatistiken. Auf wundersame Weise entfaltet sich hier der wichtigste Zugang, der Adjaye auszeichnet: Er geht nicht in erster Linie von Formfragen und Architekturgeschichte aus, sondern lässt sich von lokalen, geografischen, zeitgenössischen und historischen Kontexten und Problemen inspirieren und leiten. Seine Werke sind demzufolge keine formalen Statements, sondern ein Dialog mit der Welt. Für das indische Varanasi hat er eine „Silkweaving Facility“ entworfen, in der Hindus und Muslime einen gemeinsamen Ort zum Arbeiten finden, dessen kleinteilige Struktur zugleich religiöse Unterschiede respektiert. Sein „Sugar Hill“-Projekt im New Yorker Stadtteil Harlem kombiniert günstige Wohnungen für sozial schwache Mieter mit einem Kindergarten und einem Kindermuseum.
In vielen Arbeiten kommt Adjaye auf Afrika als Erfahrungs- und Erinnerungsraum zurück: Seine Herkunft ist manchmal einfach ein Ort der Inspiration, ein anderes Mal konkret Gegenstand musealer Auseinandersetzung. Während er das neu gebaute Cape Cost Slavery Museum in Ghana am historischen Ort mit einer ehemaligen Sklavenfestung mittels einer breiten Esplanade verbindet und als Ausgangspunkt für eine kritische Betrachtung des Menschenhandels nimmt, ist das im Bau befindliche National Museum of African American History and Culture in Washington ein symbol-politisch extrem aufgeladener Ort. Adjaye hat sich für das an der National Mall gelegene Gebäude in Form terrassierter, invers angeordneter Pyramiden von den auch in der Ausstellung zu sehenden Verandapfosten des Yoruba-Bildhauers Olowe von Ise inspirieren lassen. Der jahrzehntelange Kampf der Afroamerikaner um die Anerkennung ihrer Geschichte, ihrer Erinnerungen und ihres Beitrags zur gemeinsamen amerikanischen Nation wird von Adjaye als Ort gestaltet, der afrikanische Formensprachen ins Heute transferiert und durch das Spiel mit Licht und Schatten die Herkunftsregion mit dem Aufnahmeland sprechen lässt.
Adjaye versteht die öffentlichen Baukörper als Agenten einer offenen, modernen, historisch determinierten Gesellschaft, als Orte, an die man gerne geht, deren Barrieren niedrig sind und deren Räume die Benutzer dazu auffordern, sie mit anderen zu teilen. Er ist der Architekt einer zeitgenössischen, globalen Res publica, in der Migration und Integration Aufgaben von zentraler Bedeutung für alle sind. Als Wanderer zwischen den Welten weiß Adjaye, dass es Räume braucht, in denen man sich auf Augenhöhe begegnen können muss. Also entwirft er sie.
■ Bis 31. Mai, Haus der Kunst, München, Katalog (Yale University Press) 40 Euro