: Opposition klagt gegen Klinik-Verkauf
Bundesweit erstmals soll der Verkauf der Landeskrankenhäuser in Niedersachsen verfassungsrechtlich geprüft werden. SPD und Grüne im Landtag wollen klagen. Die Opposition meint, nur Beamte dürften psychisch Kranke einsperren
VON KAI SCHÖNEBERG
Zum ersten Mal soll der Verkauf von Landeskrankenhäusern (LKH) in Deutschland einer eingehenden verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen werden. SPD und Grüne kündigten am Freitag an, die Gesetze, auf denen die Privatisierung des Maßregelvollzugs in Niedersachsen beruht, vor dem Staatsgerichtshof in Bückeburg zu beklagen. „Wenn mich jemand einsperrt, festhält oder fixiert, muss das staatlich legitimiert sein“, sagte die grüne Fraktionsvizin Ursula Helmhold. In den vom Land verkauften Maßregelvollzugsstationen der LKH würden jedoch private Träger diese Aufgaben übernehmen. Ein so genanntes Normenkontrollverfahren beim Landesverfassungsgericht solle das überprüfen.
Mit dem umstrittenen Verkauf von acht Landeskliniken will das Land Niedersachsen etwa 100 Millionen Euro einnehmen. Den Zuschlag hatten im Frühjahr Klinikkonzerne wie Ameos, aber auch Kirchen oder die Arbeiterwohlfahrt erhalten. Sie übernehmen damit auch die den LKH angegliederten Maßregelvollzugsabteilungen, in denen psychisch Kranke und drogenabhängige Straftäter in geschlossenen Abteilungen untergebracht sind. Straflockerungen hängen hier vom Therapieerfolg, nicht vom Strafmaß ab. Zur Zeit gibt es in Niedersachsen etwa 1.200 Patienten in den LKH-Forensiken, von denen künftig die Hälfte nicht mehr vollständig von Landesbediensteten betreut werden sollen.
Da auch das Land verfassungsrechtliche Bedenken hatte, soll es im Maßregelvollzug der betroffenen LKH neben privatem Personal weiter je 14 Landesangestellte geben, sagt Sozialministeriums-Sprecher Thomas Spieker. Zwangsmaßnahmen würden auch künftig stets unter der Fachaufsicht von Landesbediensteten durchgeführt. Er sehe der Klage gelassen entgegen. Keines der Bundesländer, das seine LKH verkauft hat, habe so weitreichende Regelungen getroffen wie Niedersachsen. Schleswig-Holstein, Hamburg, Brandenburg und Brandenburg hätten komplett privatisiert. „Wenn es hier verfassungswidrig ist, ist es erst recht in den anderen Ländern verfassungswidrig“, sagt Jörg-Martin Jehle.
Der Göttinger Strafrechtsprofessor hält in einem Gutachten die Privatisierung des Maßregelvollzugs in Niedersachsen für verfassungswidrig. „Es gibt kaum einen Bereich, der so massiv in die Grundrechte eingreift wie der Maßregelvollzug“, sagt Jehle. Zum Freiheitsentzug kämen in den Sicherheitstrakten noch Zwangsbehandlungen wie Fesseln hinzu. Die müsse ein psychisch kranker Sexualstraftäter auf sich nehmen, „wenn er je wieder eine Chance haben will, frei zu kommen“.
Für Jehle sind das die massivsten Eingriffe in Grundrechtspositionen, die laut Landesverfassung und Grundgesetz nur von Bediensteten des Staates vorgenommen werden dürften. Für diese Maßnahmen seien einfach nicht genug Landesbeamte da. Es laufe automatisch darauf hinaus, dass Privatangestellte hoheitliche Aufgaben übernähmen.
Wann Bückeburg den Fall verhandelt, ist unklar. Wahrscheinlich wird es aber nichts mehr vor der Landtagswahl im Januar. Dass eine SPD-geführte Regierung den lange bekämpften Verkauf der Landeskrankenhäuser nicht rückgängig machen kann, ist auch dem Sozialexperten der Partei, Uwe Schwarz, klar: „Tatsache ist, dass die Häuser verkauft worden sind.“ Allerdings könnten die Käufer aus dem Vertrag aussteigen, „wenn der Staatsgerichtshof eine negative Entscheidung fällt“.