: Im Schatten von Eichen, Apfel- und Bronzebäumen
DOCUMENTA In Leipzig gab Carolyn Christov-Bakargiev, Leiterin der kommenden Documenta, Einblicke in ihre ehrgeizigen Pläne
Die Documenta-Astrologen waren sich einig, was es zu bedeuten hatte, als Carolyn Christov-Bakargiev im letzten Jahr in der Kasseler Karlsaue einen bronzenen Baum des italienischen Künstlers Giuseppe Penone aufstellte, in dessen Krone ein Stein lag. Schließlich hatte Joseph Beuys, der Übervater der Kunst, 1982 in der weltbekannten Provinzstadt 7.000 Eichen und Basaltsteine aufstellen lassen.
Bei historischen Reminiszenzen wird es die Chefin der 13. Documenta, die in genau 234 Tagen in Kassel öffnet, nicht belassen. Auch wenn sie sich in die Geschichte der Documenta vertiefte, „Zusammenbruch und Wiederaufbau“ als deren DNA ausgemachte und Nutzern der Website als Login das Passwort „Bode55“ verpasst hatte – sanfte Erinnerung an den Erfinder und das Geburtsjahr der Superschau.
Wie sehr auch diese Documenta-Chefin daran arbeitet, mit der 13. Ausgabe des wichtigsten Kunstereignisses der Welt mehr als eine kunsthistorische Fußnote zu hinterlassen, konnte man am Montag sehen, als sie vor Leipziger Kunststudenten die ersten Appetithäppchen ihres Konzepts unters Volk streute: Auftakt einer PR-Tournee durch deutsche Kunsthochschulen.
Zwar warf sie die üblichen Nebelkerzen, als sie dem andächtigen Nachwuchs in der Hochschule für Grafik und Buchkunst einschärfte, die Documenta als Prozess zu sehen, nicht als Produkt, „Scepticism“ und „Maybe“ als ihr kuratorisches Credo beschwor und auf die Fragen, was es denn zu sehen gebe, „ich weiß es wirklich noch nicht“ seufzte. Zu viel darf ein Kurator vorher nie verraten.
Durch die Kunstakademien tourt die prozessverliebte, 53 Jahre alte Italoamerikanerin aber nicht ohne Grund. Denn mit ihrer Documenta will die erfolgreiche Chefin der Sydney-Biennale 2008 offenbar eine Allianz schmieden. Dem „kognitiven Kapitalismus“ will Christov-Bakargiev eine Sammlungsbewegung alternativer Kreativität gegenüberstellen.
Auch die Tiere machen mit
Deshalb sollen unter den über 100 Künstlern aus 50 Ländern, die sie nach Kassel einladen will, auch Physiker und Architekten, Tänzer und Poeten, Ökonomen und Feministinnen sein. „Widerstand ist wichtig“, sagte sie mit Blick auf die weltweiten Demonstrationen gegen den Finanzkapitalismus. Die Documenta sieht sie als „Plattform der transversalen Community“ für eine „alternative Globalisierung“, bei der künstlerische und wissenschaftliche „Forschung“ zusammengebracht werden und auf der sogar die Tiere ihren Platz haben sollen. Homo Sapiens kämpft noch mit der Multikultur. Da denkt Christov-Bakargiev schon weiter. Eines der Basics ihrer Documenta heißt „multispecies coevolution“.
Wie sich das alles in Kunst niederschlagen wird, bleibt vorerst das Geheimnis der Hundeliebhaberin. Doch wie um zu demonstrieren, was sie damit meint, dass Kunst ein nachwachsender Rohstoff sei, dass Menschen, Tiere und Pflanzen gleichermaßen „Energie teilen und verwandeln“, will sie in der nächsten Woche in der Karlsaue ein Apfelbäumchen pflanzen. Ein echtes. INGO AREND