: Das Handwerk verteidigt seine Zunft
Zwölfmal sind Hausdurchsuchungen zur Durchsetzung des Meisterzwanges inzwischen für verfassungswidrig erklärt worden. Unbeirrt versuchen Handwerkskammern auch im Norden immer wieder, damit freie Handwerker unter Druck zu setzen
Seit dem 2. Oktober gilt die EU-Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung der Berufsqualifikationen. Das bedeutet: Wer irgendwo innerhalb der Europäischen Union zwei Jahre Berufspraxis hat, kann in Deutschland arbeiten, ohne Gesellenjahre und Meisterausbildung zu absolvieren. Die Bundesregierung hat daran eine Änderung durchgesetzt – ab dem 1. November dieses Jahres müssen nun fünf Jahre Berufspraxis vorgewiesen werden. KAWE
AUS BREMEN KLAUS WOLSCHNER
„Das ist einzigartig“, sagt Jonas Kuckuck. Der Bremer ist „Stroh- und Reed-Dachdecker“ und Sprecher des Berufsverbandes unabhängiger Handwerkerinnen und Handwerker (BUH). Zwölf Urteile des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe haben freie Handwerker und ihre Anwälte gegen die Praxis deutscher Handwerkskammern erstritten, mit Hausdurchsuchungs-Anträgen gegen freie Handwerker vorzugehen. All diese Urteile enthalten ähnliche Formulierungen: Wenn nur ein vager Verdacht auf eine Ordnungswidrigkeit besteht – und das ist bei Verstößen gegen die Handwerksordnung der Fall –, ist eine Hausdurchsuchung eine unverhältnismäßige Verletzung des Grundgesetzartikels 12 (Unverletzlichkeit der Wohnung).
In der deutschen Handwerksordnung ist festgelegt, für welche Arbeiten ein Meisterbrief erforderlich ist. „Ich darf eine Raufaser-Tapete anbringen und streichen, aber ich darf keine Mustertapete anbringen und auch keine untapezierte Mauer streichen“, sagt Helmut H., ein Elektriker, der verschiedene Handwerksdienstleistungen anbietet. Wer einen Meisterbrief erwerben will, muss jahrelang Geselle gewesen sein und ein Jahr lang eine Vollzeit-Ausbildung machen – allein die Kosten hierfür liegen bei 10.000 Euro.
Der Fall, in dem das Bundesverfassungsgericht eine Hausdurchsuchung in Bremen als rechtswidrig eingestuft hat, ist typisch: Meist werden freie Handwerker von missgünstigen Kollegen angeschwärzt, das Ordnungsamt beantragt daraufhin eine Durchsuchung, um in den Geschäftsunterlagen Beweise für „Schwarzarbeit“ zu finden. So lautet der juristische Terminus, unter den auch solche Handwerker gefasst werden, die Tätigkeiten verrichten, für die ein Meisterbrief erforderlich wäre. Das Gericht hat dagegen zwei wesentliche Bedenken: Zum einen dürfe der Eingriff nicht „vorschnell und auf unzureichender Verdachtsgrundlage angeordnet werden“. Zum anderen handele es sich nur um eine „Ordnungswidrigkeit“: Da müsse die Verhältnismäßigkeit besonders begründet werden.
Der BUH findet den ganzen Meisterzwang vollkommen überholt. „Die Handwerkskammern wollen eine Sonderwirtschaftszone Handwerk aufrecht erhalten“, schimpft Kuckuk, „mittelalterlich“ sei der Geist dieser Zunft. Wer zum Beispiel eine Firma betreibt, um Computer zu reparieren, braucht keinen Meister – das gab es schlicht noch nicht, als die Meisterordnungen verfasst wurden. Auch vorgefertigte Bauteile, etwa Fenster, dürfen seit der Novelle der Handwerksordnung vom 2003 auch ohne Meistertitel eingebaut werden – nicht aber ein Dachsparren versetzt oder eine Reihe Steine aufgemauert, um die Öffnung für das Fenster anzupassen.
Alle nun vom Bundesverfassungsgericht für rechtswidrig erklärten Hausdurchsuchungen liegen Jahre zurück. Aus jüngster Zeit sei ihm kein entsprechender Antrag bekannt, sagt der Leiter des Bremer Stadtamtes, und auch bei Gericht ist keine Beschwerde anhängig. „Als es im April die ersten Urteile gab, hatten wir noch täglich Anrufe von Betroffenen“, sagt BUH-Sprecher Hans-Georg Beuter. In letzter Zeit gebe es nur noch einzelne Fälle. „Still ruht der See“, heißt es auch seitens der Handwerkskammern erleichtert – die CDU hatte 2003 eine radikalere Reform der Handwerksordnung verhindert und die Kammern wollen das Thema nicht ohne Not neu in die Diskussion bringen: Die Lobby-Arbeit funktioniert in der Stille besser.
Nicht überall indes wird die Rechtsprechung aus Karlsruhe respektiert: Im Februar wurde in Schleswig-Holstein das Büro eines Mannes durchsucht, der Solaranlagen verkauft – er soll jemanden damit beauftragt haben, Kunden beim Festschrauben der Anlagen zu helfen. Nun gilt für die Solartechnik wie für die Computertechnik, dass sie in der Handwerker-Ordnung gar nicht vorkommt. Formal lautet also der Vorwurf, der Mann habe keinen Meistertitel als „Heizungsbauer oder Elektrotechniker“. Das Landgericht Lübeck bestätigte die Rechtmäßigkeit der Hausdurchsuchung. Der Rechtsanwalt Walter Ratzke, der verschiedene freie Handwerker vertritt, hatte den Lübecker Richtern zwei seiner diversen in Karlsruhe erstrittenen Urteile geschickt, in denen unter anderem deutlich gemacht wird, dass der Tatverdacht deutlich formuliert sein muss. Die Lübecker Richter „ignorierten selbst dann noch diese Verfassungsgerichtsrechtsprechung“, sagt Ratzke. Der Anwalt, der von einer „vorsätzlich falschen Entscheidung“ spricht, hat den Vorgang inzwischen beim Bundesverfassungsgericht vorgelegt und eine „Mutwillen-Gebühr“ gegen die Lübecker Richter beantragt.
„In den ersten Jahren meiner Berufstätigkeit als Haushandwerker konnte ich oft nicht gut schlafen“, sagt Helmut H. Weil die Rechtslage nicht nur absurd, sondern auch sehr kompliziert ist. Und weil die Bußgelder von bis zu 100.000 Euro einen kleinen Handwerker ruinieren können. Die freien Handwerker würden eingeschüchtert, sagt Jonas Kuckuk vom BUH, „die kennen nicht ihre Rechte und bezahlen oft lieber als sich auf einen jahrelangen Rechtsstreit einzulassen“. Von der EU ist er enttäuscht, weil deren Liberalisierungs-Strategie nur sehr langsam vorankommt. So streng wie hierzulande ist die Handwerksordnung übrigens sonst nur noch in Luxemburg.