Wegdriften mit Schmutzfaktor

Die Neokrautrock-Gruppe Atelier Theremin macht im Rahmen des Krautrock-Revivals etwas äußerst Zeitgemäßes: An noch drei weiteren Abenden spielt sie im Kino Babylon Mitte live zu stumm geschalteten Klassikern des psychedelischen B- und C-Films

Atelier Theremin geht es darum, die Radikalität, die in diesen Genrefilmen steckt, noch ein bisschen zu übertreiben

VON DETLEF KUHLBRODT

Neulich feierte Manuel Göttsching, der Anfang der Siebzigerjahre mit der LSD-Band Ashra Temple bekannt wurde, seinen 55. Geburtstag im Watergate. Einige Tage später traten die wiedervereinigten Cluster mit Möbius und Roedelius im ausverkauften Ballhaus Naunynstraße auf. Im Tresor gab es vor ein ein paar Wochen ein 24-stündiges Krautrock-Event. Auch Kraan und Hölderlin spielten wieder auf, bei einer „Krautrocknacht“ in Fulda. Und sogar Birth Control, die Band, bei der Hugo-Egon Balder im Herbst ’68 vier Monate lang trommelte, touren zurzeit durch die Gegend.

Krautrock, diese merkwürdige und überaus einflussreiche Laune der Popmusikgeschichte, ist also wieder da. Aber es sind nicht nur die alten Helden, die’s noch mal wissen wollen; auch aktuelle Formationen wie das Berliner „Atelier Theremin“ knüpfen an die experimentierfreudige Tradition des Krautrock an und versuchen sie fortzuführen.

Die seit Dezember 1996 in unterschiedlichen Besetzungen spielende Gruppe um den Bildhauer Manfred Miersch verwendet alle möglichen elektronischen Instrumente, die in den letzten vierzig Jahren entwickelt wurden. Sie hat sich nach dem sowjetischen Musikelektronik-Pionier Leon Theremin benannt, dessen seltsam sphärisches Instrument Miersch in den Neunzigern zu spielen lernte. Bis in den Dezember hinein präsentiert das Atelier Theremin im Babylon-Mitte jetzt eine Reihe mit psychedelischen Filmen – dabei gibt es an jedem „Psychedelic Cinema“-Abend einen tonlosen Film, den die Neo-Krautrockband live begleitet, und einen zweiten Film, der normal läuft.

Der erste Teil dieser Reihe Anfang September war prima. Auf der Bühne standen merkwürdige Instrumente, Synthesizer, ein Plattenspieler, der aussah wie eine Töpferscheibe, und mehrere Röhrenradios, die als Monitorboxen dienten. Mit ihren langen Haaren sahen die Musiker aus wie Freaks aus den Siebzigern. Introvertiert fummelten sie an ihren Geräten und waren nur als Schatten vor der Leinwand erkennbar. Auf der lief „Chappaqua“, Conrad Rooks verwirrender Klassiker der psychedelischen Filmkunst, der 1967 in Venedig einen Silbernen Löwen bekam. Damals war LSD noch ein seriöses Hollywood-Thema, das erst Anfang der Siebzigerjahre in den – möglicherweise noch interessanteren – Bereich der B- und C-Filme wanderte.

Die Musiker bewegten sich als Schatten vor der Leinwand mal hierhin, mal dorthin. Das scheinbar ziellose, elektronische Geschrammel und Geknarze mit eingestreuten Stimmen gab dem Ganzen manchmal etwas Weihevolles, manchmal Psychotisches; manchmal ging’s auch ins verträumt Grateful-Dead-hafte, manchmal kamen Elemente vorbei, die leicht spooky wirkten. Alles ganz wunderbar also – vor allem, wenn man das Gefühl bekam, der Film sei in der Interpretation des Atelier Theremin klarer und verständlicher als mit der ursprünglichen Tonspur. Nur schade, dass so wenige gekommen waren: Als die Musiker nach dem zweiten Film ihre Instrumente gegen eins abbauten, waren kaum noch zehn Zuschauer da.

Ein paar Tage später besuchte ich Manfred Miersch in seinem Atelier, einer Fabriketage in Prenzlauer Berg. Der besessene Tüftler, der bei den „Kindern vom Bahnhof Zoo“ als Statist mitgewirkt und früher Punk gemacht hatte, führte mir seltsame Instrumente vor und erklärte: 1996 hatte er sich den ersten Theremin-Bausatz besorgt. Das Instrument zu konfigurieren, war eine wahnsinnig komplizierte Angelegenheit. Als Bildhauer gehe er „auf einer physikalischen Ebene“ an die Klangerzeugung ran und denke dabei „eher an Schichtungen und Reihungen“ als an Noten. Hatte sich 1983 der Wechsel von analogen zu digitalen Synthesizern vollzogen, kam es Anfang der Neunziger zu einem Revival der analogen Technik und darüber wieder zu einer Anknüpfung an Krautrock. Das Schöne an der analogen Technik, so sagte Miersch, sei „der Schmutzfaktor: Nichts ist wirklich konstant und exakt – alles variiert so ein bisschen.“

An Krautrock, einer „Bewegung, die sich das Utopisch-Experimentelle, Radikale und Antikommerzielle auf die Fahnen schrieb“, fasziniere ihn „diese bewusste Vermeidung von Coolness. Dieses Bedenkenlose, das mit einer gesellschaftlichen Aufbruchsituation verbunden war.“ Und „bei dieser Filmgeschichte“ jetzt ginge es also darum, sich „die filmische Struktur anzugucken und davon dann zu abstrahieren“, „das Bildmaterial wie ein objet trouvé zu behandeln“, „die Radikalität, die in diesen Filmen steckt, noch ein bisschen zu übertreiben“.

Begeistert erzählte Manfred Miersch dann von dem 1971 entstandenen, schon leicht trashigen B-Film „The Psychedelic Priest“, den das Atelier Theremin heute Abend im Babylon interpretieren wird. Das psychedelische Roadmovie aus der Niedergangszeit des Genres handelt von einem Priester, der eine Cola mit LSD – „besagter Chemikalie“ – in die Hände bekommt. Und dann geht’s ab. Der Abend wird bestimmt super. Als zweiten Film präsentiert das Atelier Theremin mit Kenneth Angers „Inauguration of the Pleasure Dome“ von 1954 einen Film, der mit seltsamen Überblendungen, dem Verzicht auf lineare Handlung und ritualhaften Traumsequenzen das Psychedelic-Genre vorwegnahm.

Zum Schluss hatte ich den eher nüchtern wirkenden Manfred Miersch gefragt, ob Psychedelic ohne Drogen funktionieren könne. „Na mit Sicherheit. Ich kann dir nur sagen: Wenn du fast täglich im elektromagnetischen Feld eines Theremins stehst – da spielt sich so viel ab …“

Heute, 22 Uhr, Babylon Mitte: Psychedelic Cinema mit „Electric Shades of Grey/The Psychedelic Priest“ (Stewart Merrill 1971) und „Inauguration of the Pleasure Dome“ (Kenneth Anger 1954); weitere „Psychedelic Cinema“-Termine: 20. 11. und 22. 12., jeweils 22 Uhr