: „Das ist alles neoklassischer Pomp“
TARWATER Bernd Jestram und Ronald Lippok spielten schon bei der Ostberliner Punkcombo Ornament & Verbrechen zusammen. Seit 1995 sind sie Tarwater. Für ihr elftes Album haben sie sich in alte Science-Fiction-Soundtracks versenkt, weil die neuen nichts taugen
■ Seit Ewigkeiten schon machen Bernd Jestram, 49, und Ronald Lippok, 48, zusammen Musik. Zuerst bei der 1982 gegründeten, schon in der DDR so legendären wie geheimnisvollen Art-Punk-Band Ornament & Verbrechen, die erst nach der Wende ihre ersten Aufnahmen herausbringen konnte. Dann für Theater und Film, Kunstprojekte und Hörspiele. Ronald Lippok spielt außerdem mit seinem Bruder Robert Lippok und Stefan Schneider von Kreidler bei To Rococo Rot. Bernd Jestram hat in seinem Studio in Prenzlauer Berg viele Bands produziert. Unter dem Namen Tarwater haben Jestram und Lippok seit 1995 ein schwer überschaubares Werk angehäuft, in dem TripHop und Postrock, Soundtapeten und Klangwände, Elektronik und Akustik, Klangforschung und Popsensibilität zusammenfinden. Dafür wurden sie vor allem im Ausland gewürdigt. Sie tourten durch die USA, wurden in Frankreich gefeiert, arbeiteten mit Tuxedomoon. Von John Peel wurden sie gleich zweimal zu seinen berühmten Sessions eingeladen. Ihr neues Album „Inside The Ships“ (Bureau B/Indigo) ist inspiriert vom Space-Rock der Siebziger und den Soundtracks von Science-Fiction-Filmen aus vornehmlich osteuropäischer Provenienz. Die Record-Release-Party von „Inside The Ships“ findet am 4. 11. im Kater Holzig statt. (to)
INTERVIEW THOMAS WINKLER
taz: Herr Jestram, Herr Lippok, ab wann läuft die Tarwater-Oper im Musical-Theater am Potsdamer Platz?
Bernd Jestram: Wie kommen Sie denn darauf?
Immerhin soll Ihr neues Album „Inside The Ships“ eine verkappte Space Opera sein.
Ronald Lippok: So kann man das nicht sagen. Aber wir brauchen für ein Album immer eine Arbeitsthese. Diesmal fing es damit an, dass unser Freund, der Lyriker Bert Papenfuß, an einer Science-Fiction-Oper gearbeitet hat, aus der demnächst hoffentlich ein Radiohörspiel entsteht. Dadurch kamen wir auf das Thema. „Inside The Ships“ ist aber kein Konzeptalbum.
Aber man hört die Science-Fiction?
Lippok: Das passiert wohl, wenn man so viel Space-Rock hört wie wir und so viele Science-Fiction-Soundtracks. Das ging von Bernhard Hermann über Marc Bolan bis zu dem tollen Song „Im Staub der Sterne“ von Ruth Hohmann & dem Erbe-Chor.
Ruth Hohmann, wer ist das denn?
Lippok: Eine legendäre Jazz-Sängerin in der DDR. Hat mit Manfred Krug gesungen und ist kürzlich achtzig Jahre alt geworden. Herzliche Glückwünsche nachträglich bei dieser Gelegenheit. Man sieht: Wir haben uns da richtig durchgegraben.
Wie war’s?
Lippok: Ziemlich interessant. Weil die Filmkomponisten damals natürlich versucht haben, eine Musik zu erfinden, die noch nicht existiert. Deshalb sind da zum Teil unglaublich spannende Klangwelten entstanden. Aber während mancher Mainstream-Science-Fiction-Film aus den fünfziger Jahren noch heute musikalisch radikal klingt, ist die Musik heutiger Science-Fiction-Filme total konservativ. Die kommen nicht ohne Orff-Chöre und Streicher-Bombast aus. Auch die neue Star-Wars-Trilogie, das ist alles nur neoklassischer Pomp.
Die Filmkomponisten haben vor der Zukunft kapituliert?
Lippok: So könnte man das sagen. Aber wir geben die Hoffnung noch nicht auf.
Dafür haben Sie für „Inside The Ships“ Musik erfunden, die es so noch nie gab?
Jestram: Das nun gerade nicht. Aber das war ja auch nicht unser Ansatz. Die Beschäftigung mit ehemaliger Zukunftsmusik war für uns vor allem eine Anregung, neue Sachen auszuprobieren. Wir haben uns für eine Weile in diesem seltsamen Kosmos eingenistet.
Lippok: Science-Fiction war ein Ausgangspunkt. Wir komponieren nicht im klassischen Sinne, sondern gehen immer vom Klang aus. Schaffen zuerst eine Atmosphäre, entwerfen einen Klangraum, in dem sich etwas entwickeln kann, ein Instrumental, aber vielleicht auch ein Song.
Ihre neue Plattenfirma nennt das „Neo-Krautrock“.
Lippok: Krautrock ist tatsächlich Musik, die uns interessiert. Aber der Begriff Neo-Krautrock ist missverständlich, weil er suggeriert, wir würden da was fortsetzen und auf den Schultern der Krauthelden stehen.
Jestram: Wenn man als deutsche Band im Ausland spielt, kommt man an den Krautrock-Vergleichen natürlich nicht vorbei. Anfangs fanden wir das noch komisch, wir kommen schließlich eher von Postpunk und New Wave.
Lippok: Aber natürlich gibt es da unbestreitbare Parallelen zu den Kraut-Sachen.
Welche sind das?
Lippok: Die Liebe zum Experiment, dieses gelegentlich wüste Rumprobieren und die sich aus Wiederholungen ergebenden Strukturen, die ruhig auch mal ausufern dürfen. Darin waren die Krautrockleute vorbildlich. Deshalb waren sie auch die ersten, die sich eigene Studios gebaut haben. Und Tarwater wären auch nicht denkbar ohne das Studio von Bernd.
Sie beide waren immer Grenzgänger. Zusammen haben Sie neben der Musik auch Hörspiele, Film- und Theatermusik gemacht.
Jestram: Ja, die Arbeit fürs Theater und Film, die Hörspiele, waren von Anfang an ein wichtiger Teil von dem, was Tarwater ist. In dieser Hinsicht ist uns Abwechslung durchaus willkommen. Die Sachen beeinflussen sich gegenseitig. Aber als Grenzgängerei haben wir das nie empfunden. Dazu müsste man zunächst einmal wissen, wo die Grenzen verlaufen.
Man könnte auch sagen: Sie haben sich verzettelt.
Jestram: Das könnte man, haben wir aber so nie so gesehen. Insofern ist die Verzettelung Strategie.
Lippok: Wir haben das Außenseitertum nie gepflegt. Der Erfolg, den wir durchaus hatten, der ist uns eher zugestoßen. Bernd, weißt du noch, wie unwohl wir uns gefühlt haben, als der Chef von Virgin Frankreich uns in sein Büro eingeladen hat?
Jestram: Klar.
Lippok: Der saß unter der Goldenen Schallplatte von Daft Punk und fragte uns in einem französisch gefärbten Englisch: „Do you wanna be as big as Massive Attack? It’s up to you.“ Aber wir saßen da und haben gleich gedacht: Ach nee, lass mal. Wir bleiben bei Kitty-Yo in Berlin.
Jestram: Das war für uns die richtige Entscheidung, außerdem haben die Kittys die besseren Partys geschmissen.
Lippok: In dieser Hinsicht sind wir eher Indie. Das soll aber keine Heldengeschichte sein. Uns ist einfach wichtig, die Kontrolle über unsere Musik zu behalten und mit Leuten zusammenzuarbeiten, die nicht nebenbei Kühlschränke verkaufen.
Jestram: Ich könnte übrigens einen gebrauchen.
Lippok: Unser Vorgehen kann man natürlich auch als zu defensiv empfinden, nach dem Motto: Ey Jungs, aus euch hätte doch was werden können!
Vielleicht klappt das ja doch noch mit der Space-Oper am Potsdamer Platz.
Lippok: Auf jeden Fall, Bert arbeitet noch am Libretto. Der Name des Raumschiffes steht schon fest: „Aurega“. Auch, dass es fünf Mann Besatzung hat und ich der Maschinist bin. Die läuft dann aber bestimmt nicht am Potsdamer Platz, sondern in den Ballrooms of Mars.