: Es geht hier eben auch um Haltung
INVENTUR „Fischsuppe“, eine neue Lieferung aus dem großem Lebensroman des lakonischen Erzählers Wolfgang Welt
Wer auch nur ein Buch von Wolfgang Welt gelesen hat, weiß, was ihn umtreibt. „Ute, Christiane, Marlies, Connie, Ulla, Ulrike und Dagmar. Mit den meisten hatte ich gefickt, aber das war einmal. Im Hospital war ich froh, dass ich mich wenigstens selbst befriedigen konnte, angesichts eines Titelfotos von Sinead O’Connor.“
„Fischsuppe“, sein fünfter Roman, eher eine längere Erzählung, läuft noch einmal in hastigen Trippelschritten die Erinnerungsstrecke ab, wie er Ende der neunziger Jahre nach diversen psychotischen Schüben und Zusammenbrüchen vom totalen Undergroundautor und Geheimtipp langsam im Literaturbetrieb ankommt. Sein Privatleben befindet sich im tristen, Lithium-gedimmten Fluss. Wegen seiner Korpulenz bleiben wieder mal die Frauen aus. „Ob ich jemals noch mal ficken werde?“, fragt er sich im Ernst. Sein Vater stirbt. Seine Mutter erkrankt an Krebs. Kleine Fluchten bieten allein seine London-Trips. „Sofort war das London-Gefühl wieder da. Heimat.“
Aber plötzlich läuft seine zweite Karriere an. Peter Handke hat ihn schon länger auf dem Zettel. Mit ihm unterhält er seit Jahren einen sporadischen Briefwechsel. Als ein befreundeter Antiquar seinen längst vergriffenen ersten Roman „Peggy Sue“ wieder auflegt, wird auch der Spiegel aufmerksam. Und schließlich Willi Winkler von der Süddeutschen Zeitung.
Er vergisst die Tabletten
Nach seiner Eloge lässt sich zwar immer noch nicht Suhrkamp herab – der Verlag, der sich in Gestalt des Lektors Müller-Schwefe als Erster an seiner Prosa interessiert zeigte –, aber immerhin Heyne. Dort zahlt man fünfstellige Vorschüsse, die Welt wieder Lust machen auf die Schreibmaschine. Er setzt unvorsichtigerweise das Medikament ab, um schreiben zu können, haut in drei Wochen den zweiten Roman „Der Tick“ raus und vergisst danach einfach weiterhin die Tabletten. Das hat Folgen. „Abends lief Michael Jackson durchs Münchener Olympiastadion und schoss auf mich. Aber in dem Moment, als der Schuss losging, beugte ich mich runter. Ich hatte gegen Jackson gewonnen. Morgens kam die Putzfrau. Ich war verrückt geworden durch Michael Jackson. Ich hielt die Frau für eine KZ-Aufseherin.“
Anders als in den letzten beiden Büchern hält er sich allerdings mit der Darstellung der Psychose nicht mehr lange auf. „Fischsuppe“ setzt sehr viel stärker, als das bisher bei ihm der Fall war, das vorangegangene Werk voraus. Gelegentlich spielt er sogar damit. So kommt er nur mit einem einzigen Relativsatz auf seinen alten Prügelknaben Heinz Rudolf Kunze zu sprechen: „der mich nicht vergessen konnte“. Welt-Lesern wird ganz warm ums Herz beim Gedanken an die legendären Hasstiraden.
Eine eigene Dringlichkeit
Vielleicht muss er mittlerweile mit der ihm verbliebenen produktiven Energie haushalten. Dafür spricht auch seine akute Beschreibungsunlust. Sein stets reduzierter, schmuckloser Stil hat mittlerweile die Qualität eines Stenogramms erreicht. Lapidar notiert er, was an- und auffällt. Erstaunlicherweise lockt ihn kaum noch etwas aus der Reserve, dabei besaß er einst beachtliche polemische Energie, die sich nicht nur gegen quotendeutsche Liedermacher entlud.
Aber Welts lakonische Inventur des Alltags findet dennoch zu der ihm eigenen Dringlichkeit zurück. Wie er auf ein paar Seiten den sterbenden Vater, den hochdekorierten, traumatisierten WK-II-Kämpfer, porträtiert, das ist noch in dieser enormen Verknappung merkwürdig berührend. Und seine lakonischen Beschreibungen vom Siechtum seiner Mutter oder der Liebesgeschichte seiner Eltern bestechen wie stets durch eine unpathetische, räudige Härte, die den emotionalen Glutkern fast gänzlich umschließt. „Obwohl sie mit einem anderen verlobt war, kriegte er sie schnell rum und setzte gleich einen an. Am 16. November 1946 ‚mussten‘ sie heiraten, was anderes war nicht möglich. Ein halbes Jahr später wurde mein Bruder Heinz-Jürgen geboren. Später geriet mir die Theorie in den Kopf, dass alle Jungen, die nach dem Krieg geboren wurden und H.-J. hießen, Söhne von Vätern waren, die der Hitler-Jugend nachhingen. Kurz darauf ließ meine Mutter abtreiben, für ein Pfund Butter. Später sagte sie, wir haben sowieso nie wieder soviel Butter gegessen wie nach dem Krieg.“
„Fischsuppe“ ist nicht Welts bestes Buch, an die manische Nervosität und großmäulige Verve von „Peggy Sue“ und einigen Erzählungen wie „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“ kommt es nicht heran. Aber dieser typische Welt-Sound, dieser unfertige, improvisierte, halbbewusst aufs Blatt geballerte Personalstil nimmt einen trotzdem immer noch mit. Es geht hier eben auch um Haltung. Er behauptet sich und sein Leben, indem er es zur Literatur erklärt. Und zwar völlig ungeschützt, ohne Rücksicht auf die gängigen Konventionen und angesagten Schreibmoden und vor allem ohne sich hinter Ironie oder der hehren Kunst zu verstecken. Wer traut sich das denn sonst noch in der deutschen Literatur? FRANK SCHÄFER
■ Wolfgang Welt: „Fischsuppe“. Verlag Peter Engstler, Ostheim/Rhön 2014, 82 Seiten, 14 Euro