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Archiv-Artikel

„So ist das Leben. Da kann ich nichts für“

Sibylle Berg suchte das Glück und fand es in Bayern. Für ihren Roman „Die Fahrt“ reiste sie um den Globus und forschte nach überzeugenden Gesellschaftsmodellen. Ein Gespräch

SIBYLLE BERG

Sibylle Berg, 1962 in Weimar geboren, reiste 1984 in die BRD aus und schlug sich mit diversen Jobs durch. Bekannt wurde sie 1997 mit dem Roman „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“. Sie schreibt Kolumnen und Essays, hat sieben Bücher und acht Theaterstücke veröffentlicht. Berg ist verheiratet und lebt seit zwölf Jahren in Zürich. Der Roman „Die Fahrt“ ist soeben bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Sehr hübsch ist auch Sibylle Bergs Homepage: www.sibylleberg.ch.

INTERVIEW IRENE GRÜTER

taz: Frau Berg, fahren Sie je wieder in Urlaub?

Sibylle Berg: Wohin denn? Ich wohne in Zürich an einem Urlaubsort. Ich habe Flugangst, die steigert sich manchmal zur Hysterie. Die Szene, in der eine Figur kurz vor dem Start aus dem Flieger rennt und zurück nach Hause fährt, war von mir geklaut.

Dennoch waren Sie ein Jahr unterwegs, um Ihren neuen Roman zu schreiben.

Das war kein Zuckerschlecken. Die Idee zum Buch hatte ich vor sechs Jahren, damals wollte ich reisen und schauen, ob es auf der Welt ein Gesellschaftsmodell gibt, das besser funktioniert als unseres. Leider hatte ich erst vor zwei Jahren das Geld zusammen, doch die Idee hatte sich überholt. Ich musste dann los, weil ich es mir ja mal vorgenommen hatte.

Was haben Sie gefunden?

Man trifft überall westliche Menschen, die ihr Glück suchen und in den wenigsten Fällen finden. Leute, die durch Indien hoppeln und meinen, die Einheimischen interessierten sich für einen. Für mich ist das zum Dauerthema geworden: Was braucht man im Leben, und wie weit muss man gehen dafür? Das ist doch die entscheidende Frage in unserer windschnittigen Gesellschaft. Natürlich ist der Roman auch eine Abrechnung mit dem gruseligen Kolonialtourismus, den wir betreiben. Es ist oft sehr eklig gewesen, besonders in Sri Lanka, die hocken noch in Camps wegen des Tsunamis, und vorne lassen sich welche massieren und feilschen um 30 Cent. So zu reisen verlangt schon einen sehr schlechten Charakter.

Ist das Buch also ein Antireiseroman?

Da bin ich mir nicht sicher. Reisen hat ja auch etwas Gutes, weil man oft erkennt, was man zu Hause hat. Deutschland ist vielleicht kein charmantes Land, aber es funktioniert recht gut. Das zu erkennen kann ja nicht schaden, aber dafür muss man Geld ausgeben, in anständige Hotels gehen und nicht so einen Dreck machen wie „Ich leb jetzt wie die Eingeborenen“. Den Egotrip muss man schon bezahlen.

Die Hauptfiguren sind deutsche Touristen. Eine Kapitel erzählen aber aus der Perspektive von Einheimischen, zum Beispiel einer Steinklopferin im Slum von Bangladesch. Haben Sie dort recherchiert?

Ich habe wirklich zwei Wochen in einem Slum zugebracht, mit einem Dolmetscher. Und dann hockt man da rum und versucht zu verstehen, was das heißt. Aber das geht natürlich nicht, das wäre anmaßend. Ich wollte einfach wissen, was das für Menschen sind hinter den Bildern.

Haben Sie ein Gesellschaftsmodell gefunden, das besser funktioniert?

Ich habe leider herausgefunden, dass es zur Zufriedenheit genau das braucht, was wir hier haben. Wohlstand, Bildung, Demokratie, was schon mal 80 Prozent der Welt ausschließt. Die Sozialmären von den glücklichen Eingeborenen, das haut alles nicht hin. Die relativ zufriedensten Menschen habe ich in Island gefunden. Doch das kann man nicht nachmachen. Die haben eine Insel, sind wohlhabend und wenige.

Ihre Figuren sind alle zutiefst einsam, tun sich schwer mit dem Altern und glauben, das Leben sei nach der Midlife-Crisis zu Ende.

Stimmt nicht, ein paar werden ja auch glücklich. Helena zum Beispiel kommt in ihrem Stamm in Füssen bei Schwanstein an, der geht’s dort richtig gut.

Das ist nicht satirisch gemeint? Immerhin wird dieser „Stamm der Likatier“ von Kritikern als Sekte gesehen.

Nein, das war ernst. So etwas funktioniert natürlich nicht immer, ich war zum Beispiel auch in einem Kibbuz in Israel, und dort war mir der Zwang zur Gemeinschaft sehr unheimlich. Ich weiß auch nicht, was dieser Stamm in Bayern anders gemacht hat. Wahrscheinlich funktioniert das, weil die einen Kompromiss mit dem Kapitalismus machen. Die wollen Häuser haben, die wollen es schick haben, das ist ja schon in uns verankert.

Und was hält Sie davon ab, sich den Likatiern anzuschließen und glücklich zu werden?

Ich bin nicht gut im Gruppenleben. Aber es wäre bestimmt ein gutes Modell gegen die Einsamkeit.

Sie klagen in Ihrem Roman eine Extremform von Individualismus an, weil sie die Figuren in die Einsamkeit führt. Schlagen Sie als Alternative nun die Kommune vor?

Dieses Kommunenzeugs propagiere ich nicht, aber ich halte wirklich nichts von diesem Single-Hochgehalte, das hat sich nicht bewährt. Jeder muss sich in Kleinverbände einordnen, mit Freunden zusammenziehen, eine Großfamilie gründen, was auch immer. Ich glaube, man braucht jemanden. Das ist ganz simpel. Sonst wird alles noch sinnloser.

Sie glauben an die Liebe, lassen sie aber nie stattfinden. Am Ende der „Fahrt“ bahnt sich zwar eine echte Beziehung an, doch die scheitert sofort an Krebs.

Das ist doch ein Happy End, die haben zumindest mal hingeguckt. Das ist furchtbar, aber so ist das Scheißleben. Da kann ich nichts für.

Auch Sex ist kein Thema mehr.

Soweit ich mich entsinne, stand Sex in den anderen Büchern immer für eine Unfähigkeit. Also, die Wurst da rein, das hat mich nie interessiert. Ich bin vermutlich prüde, die Körper ekeln mich an. Und jetzt machen sie es eben gar nicht mehr, jetzt lesen sie lieber ein gutes Buch.

Was liegt denn auf Ihrem Nachttisch? Deutsche Gegenwartsliteratur? Oder die Gala?

Genau, aus der Gala bezieh ich mein ganzes Fachwissen. In-Touch ist noch besser. Großes Blatt, große Wissenschaftszeitung, so mit Stars und Cellulitis eingekringelt. Auf meinem Nachttisch liegen eigentlich nur Thriller. Schöne, blutrünstige Thriller von Tess Gerritsen. Bauch aufschneiden und Gedärme raus, so was.

Darauf haben Sie in Ihrem neuen Roman weitgehend verzichtet. Der Ton wirkt weniger scharf als früher.

Ja, er ist gedärmfreundlicher, könnte man sagen.

Ist Ihr Blick auf Menschen milder geworden? Man hat den Eindruck, Sie haben Mitleid mit diesen Figuren, die ratlos um den Globus stolpern und vergeblich ihr Glück suchen.

Mitleid habe ich immer gehabt, das hab ich ja auch mit mir selbst. Ich mag Menschen vereinzelt, nicht im Fußballstadion, aber es hat mich früher einfach mehr aufgeregt, dass die Leute so doof sind. Me too, da kannst du nur verzweifeln. Da hatte ich früher mehr Wallungen.

In Ihrem vorletzten Buch ging die Welt unter, nun haben Sie den Globus nach Utopien abgesucht. Woran arbeiten Sie jetzt?

Jetzt kommen nur noch Tierbücher, über kleine Rehkitze und so. Ach, ich hab keine Ahnung. Ich habe gerade zwei Theaterstücke fertig gemacht und würde jetzt irrsinnig gern ein Jahr lang im Bett liegen und nur TV-Serien gucken. Aber das geht nicht, jetzt muss man halt wieder irgendwas produzieren. Was soll ich denn machen, ich kann ja nicht plötzlich Familiensagas oder Krimis schreiben. Ich bleibe beim Genre der Forschungsberichte.

Warum schreiben Sie für das Theater, obwohl Sie es in früheren Kolumnen nicht sehr ernst nehmen konnten?

Ich fand Theater immer ziemlich doof und langweilig. Dann habe ich René Pollesch gesehen und dachte, es geht doch auch anders. Den verehre ich in hohem Maße. Jetzt denke ich, ach, die ganzen Zahnärzte müssen ja auch etwas machen in ihrer Freizeit. Lass sie doch, tut ja keinem weh. Älter werden macht milder.

Wie möchten Sie im Alter sein?

Ein bisschen weniger eitel wäre ich gern. Aber das krieg ich nicht ganz raus. Mich ficht schon noch an, was andere Leute denken. Und manchmal nervt es mich, dass ich so einen erzieherischen Tick habe. Wenn ich mit einem Abstand altes Zeug lese, denke ich: Mann, ist das klugscheißerisch. Ich war dann so in Rage und glaubte wirklich, es würde irgendeine Sau interessieren, was ich an Weltverbesserungsvorschlägen habe.

Hat Ihnen reisen nie Spaß gemacht?

Doch, nach dem ersten Buch, als die Medienwelt meine Geschichten haben wollte. Damals konnte ich für das Zeit-Magazin überallhin, wohin ich wollte. Und das als alter Ossi, ich bin ja nicht groß rausgekommen. Das war toll, da bin ich gierig überallhin gefahren, immer mit einem Kampffotografen voraus. Ist ja nicht schlecht, wenn der Mann zuerst auf eine Tretmine tritt.

Sie mögen Männer nicht?

Doch, die sind ja ganz rührend. Aber wir haben noch keine Gleichberechtigung, und dagegen wende ich mich. Mein Klischee: Ich halte Männer für die unterlegene Rasse. Männer sind einfach nicht in der Lage, sozial zu denken, an irgendetwas außer ihren Machtpositionen interessiert zu sein. Und ich kann Personen nicht ernst nehmen, die sich über ihre Gefühle nicht im Klaren sind.

Was ist in der Evolution falsch gelaufen?

Na ja, das mit der physischen Überlegenheit führte in die falsche Richtung. Männer sollten die Äcker bestellen und den Müll runterbringen, aber da fing das Missverständnis an.