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Archiv-Artikel

Schriftsteller aus der Not heraus

Mit dem Tod eines Protagonisten beginnen viele seiner Romane. Der Schriftsteller kehrt in die Vergangenheit zurück, erzählt in starken, poetischen Sätzen eine Geschichte, eine kurdische Geschichte. Und er erzählt sie so, dass die ganze Menschheit daran teilhat, dass der Leser, egal ob in Diyarbakir, Berlin, Stockholm oder Mossul, sich darin wiederfindet. Der Tod hat jetzt auch den Verfasser dieser wunderbaren, sehr menschlichen Geschichten eingeholt: Mehmed Uzun, der größte lebende kurdische Romancier, erlag gestern mit nur 54 Jahren in Diyarbakir in der Türkei seinem Krebsleiden.

Mehmed Uzun geht in die Geschichte der Kurden ein, nicht nur mit seinem literarischen Schaffen und seiner zutiefst humanistischen Lebenseinstellung, sondern auch als Schöpfer einer neuen, modernen kurdischen Schriftsprache. „Aus Not Schriftsteller geworden“, wie er es selbst sagte, lernte er die Gefängniszelle bereits mit 18 Jahren kennen. Ein Jahr nach dem Militärputsch 1971 kam er als kurdischer Nationalist in ein Militärgefängnis in Diyarbakir. Hier begegnete er älteren Kämpfern wie Musa Anter und lernte erst durch sie Kurdisch. Seine achtjährige Strafe brauchte er nach einer Amnestie 1974 nicht mehr abzusitzen. Wieder auf freiem Fuß, begann er für die verbotene kurdische Organisation Rizgari zu arbeiten und kam 1976 wieder ins Gefängnis. Nach neun Monaten floh er nach Schweden, womit er sein 15-jähriges Exil in Stockholm antrat.

In Europa lernte Uzun andere Kurden und die westliche Kultur kennen, mit der er als kurdischer Intellektueller heranwuchs. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte sollte daraus eine noch nie da gewesene, erfolgreiche Synthese entstehen. So fasste Uzun die mündlichen Erzählungen der kurdischen Dengbej, „Geschichtenerzähler“, zusammen. Über 3.000 Seiten niedergeschriebenes Material sortierte er in der Abgeschiedenheit eines schwedischen Klosters und machte daraus Romane und Essays von einer ungeheuren Erzählkraft. „Meine Meister sind Yasar Kemal und Nazim Hikmet aus der Türkei“, sagte Uzun, „Dante, Puschkin und Cervantes sind es auch.“ Ihre Gemeinsamkeit: aus der Sprache des einfachen Volkes eine Literatur mit Weltrang zu erschaffen.

Uzuns letztes Projekt, einen historischen Roman über das Leben des deutsch-jüdischen Literaturwissenschaftlers Erich Auerbach im Istanbuler Exil, konnte er nicht mehr beenden: Im Mai 2006 wurde ein aggressiver Tumor in seinem Magen entdeckt, der bereits auf andere Organe übergegangen war. Nur sein Kampfgeist ließ ihn noch so lange am Leben. Uzun starb, wie er es sich wünschte, in seiner kurdisch-türkischen Heimat. DILEK ZAPTCIOGLU