: Norddeutsch ohne Schnörkel
ARCHITEKTUR Ausstellung und Architekturführer zeigen die 100 besten Gebäude des Nordwestens
Was dem Laien nicht gleich gefällt, ist dem Kenner oft das Liebste. Auch bei moderner Architektur. Die aus Expertensicht bemerkenswertesten Bauwerke im Nordwesten Deutschlands von 1950 bis heute sind nun in einem Architekturführer zusammengefasst. Eberhard Syring, Professor für Baugeschichte und Architekturtheorie, und Kunsthistoriker Volker Plagemann haben ihn mit dem Bremer Zentrum für Baukultur herausgegeben, er wird durch eine Ausstellung begleitet.
Beim Durchblättern erschließt sich nicht auf Anhieb die Schönheit jedes Gebäudes, etwa der kantig-grauen Staatsanwaltschaft Oldenburgs. Doch der Laie lernt: Sie ist „ein Paradebeispiel für den etwas spröden Stil des Brutalismus, der in den Sechziger Jahren die Nachkriegsmoderne ablöste“. Auch das Heizkraftwerk in Bremen-Hastedt von 1990 bildete für die Auswahlkommission als industrieller Großbau „einen spannenden Maßstabssprung“. Zwischen Wilhelmshaven und dem Teutoburger Wald wählten die zehn Expertinnen rund 100 sehenswerte Gebäude aus, die entstanden, als sich nach dem 2. Weltkrieg die Moderne durchsetzte.
„Es muss nicht immer Backstein sein…“, heißen Ausstellung und Architekturführer – bei gut der Hälfte der ausgewählten Gebäude wurde der rote Stein verwendet. Backstein ist typisch für die Region, wie für alle flachen Gegenden, in denen kein Naturstein vorkommt. „Weniger spektakulär“ seien die Bauten im Nordwesten, „Leuchttürme“, die herausragen wollen, eher selten, so Syring. Bremerhavens neues Klimahauses hingegen ist auftrumpfend und im Buch wie vor Ort im Ensemble mit Auswandererhaus und Sail City-Hotel eingereiht. Dessen Hotelturm erinnert an ein aufgeblähtes Segel – eine typische Anlehnungen an die Seefahrt in der Nordwestdeutsche Architektur. Jüngstes Beispiel ist das Beluga-Gebäude von 2009 auf dem Teerhof, das einen Schiffsrumpf nachahmt.
Welche Bauten überhaupt zur Debatte standen, wusste Eberhard Syring für Bremen auf Anhieb. Schwieriger sei es im weiteren Umland gewesen. „Wir haben die Kreisbauräte nach ihren Vorschlägen gefragt“, so Syring. Manche Kommune konnte aber dennoch und beim besten Willen nicht berücksichtigt werden. Diepholz zum Beispiel. Für das örtliche Hallenbad gilt das gleiche wie für die Bremer Stadthalle. Bei Beiden schlage sich der „expressive Formgestus“ der Sechziger Jahre nieder, aber: „Beide verloren durch spätere An- und Umbauten die Klarheit ihrer ursprünglichen Form“, begründet Syring deren Nichtaufnahme. Ebenso ausgelassen wurde der gläsernen Bremer Weser-Tower von Star-Architekt Helmut Jahn. „Den finden nur Erstsemester gut“, sagt Syring.
Popularität also ist kein Kriterium. Gegen Stimmen aus dem Laienvolk hätten demnach auch der Anbau der Kunsthalle oder der geplante Dudler-Bau auf dem Bahnhofsvorplatz in dem Führer auftauchen können. Wenn sie rechtzeitig fertig geworden wären. JPB
Bis zum 2. Dezember, Montag-Freitag 10 bis 15 Uhr, Speicher XI. Eröffung: Heute, 18 Uhr