„Politischer Spaß an Gewalt“
TAGUNG Warum man rituelle Plünderungen und politisches Bewusstsein zusammen denken kann
taz: Herr Jobard, Sie sprechen heute darüber, wie mit städtischer Gewalt Politik gemacht wird. Was soll man sich darunter vorstellen?
Fabien Jobard: In meinem Vortrag geht es um eine eigentlich uralte Vorstellung: Dass städtische oder kollektive Gewalt nichts mit Politik zu tun hätte, sondern im Abseits steht.
Wie 2011 bei den Unruhen in London?
Bei den Londoner Ausschreitungen erklärte der britische Premierminister David Cameron, es seien keine politischen, sondern nur „consumer riots“. Also männliche Jugendliche, die nur an Plünderungen und Konsumgütern interessiert seien. Als ob man nicht Spaß an Gewalt und zugleich politische Beweggründe haben könnte.
Dafür machen Sie sich stark?
Der Spaß daran, Geschäfte zu berauben, schließt jedenfalls nicht aus, dass die Beteiligten Vorstellungen von Gerechtigkeit, Gleichbehandlung und Polizeigewalt haben – und diese auch durch diese Plünderungen verteidigen.
Wird der Verweis auf Gewalt nicht gerade dafür benutzt, ihnen die politische Botschaft abzusprechen?
Genau. Erstaunlicherweise haben auch linke Sozialwissenschaftler wie Stuart Hall den Aufständischen die politische Botschaft abgesprochen. Im Amerika der 60er-Jahre war auch die Rede von ziellosen Aufständen und Unruhen. Eine Herausforderung der Sozialwissenschaften bestand darin, eine bestimmte politische Rationalität in den Aufständen zu erkennen. In Frankreich fällt auf, wie oft diese Aufstände seit Anfang der 90er-Jahre wieder zurückkommen. Als städtische Riten, die ab und zu stattfinden.
Wie laufen die ab?
Erst mal gibt es in einer Stadt Polizeiübergriffe oder Gerüche darüber. Es verbrennen Autos und es kommt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Nach zwei oder drei Nächten ist das vorbei.
Sind Aufstände nicht auch eine Antwort auf jene Gewalt, die soziale Fakten schafft?
Das wird durch die Teilnehmer solcher Gewaltakte so gerechtfertigt. Das ist aber eine ziemlich intellektualisierte Art und Weise, das Problem zu formulieren. Worauf die Akteure lieber insistieren, sind die konkreten Ergebnisse der Gewalt. Dass sie nämlich etwas dafür bekommen, weil der Staat als Ressourcenverteiler sie hört. INTERVIEW: LKA
„Wie man Politik mit städtischer Gewalt macht“, Vortrag und Tagung: 20 Uhr, Hamburger Institut für Sozialforschung, Mittelweg 36