piwik no script img

Archiv-Artikel

Ewige Mär vom Ungeheuer

Das Monster von Loch Ness lebt …! Zumindest lebt ein ganzer, ansonsten unwirtlicher See davon

Am Loch Ness konkurrieren gleich zwei Exhibition Center um Reisebusse

Ein massiger Körper mit einem kleinen Kopf. Zahlreiche Mahlzähne, ein langer Hals, grün und grau. Einige Kilometer südlich von Inverness treffen wir auf das Ungeheuer. Es sieht wie ein Keichosaurus, ein Schwimmsaurier, aus. Nahe einer düsteren feuchten Bucht hat es unübersehbare Spuren hinterlassen: Das „Ungeheuer von Loch Ness“ gibt es nicht nur sehr wirklichkeitsnahe als überlebensgroße Plastik, nein, es ist auch tausendfach als Plüschtier und auf Postkarten präsent. In Drumnadrochit, am längsten und tiefsten schottischen See, lebt man vom Untier. Ohne die Mär des Fabeltieres würden wohl nur wenige Touristen in die gottverlassene Gegend am Eingang zu den Highlands kommen. Der See ist selbst im Juli und August zu kalt, die Ufer zu abweisend und steil, als dass sich auch nur ein wenig Sommertourismus entwickeln könnte. Aber Drumnadrochit hat Nessie, der 800-Seelen-Ort ist das Zentrum des Ungeheuer-Tourismus.

Zur Einstimmung kann man sich schon in Edinburgh, der schottischen Hauptstadt, im „3D Loch Ness Experience“ über das weltberühmte Monster informieren. Die erste Erwähnung des Seeungeheuers geht auf das 7. Jahrhundert und den hl. Columban von Iona zurück. Er soll das Tier mit den Worten „Nicht mehr weiter!“ vertrieben haben. Seitdem hat sich die Mär der Seeschlange über die Jahrhunderte erhalten. Sichtungen soll es 1872 und 1903 gegeben haben. Großes Aufsehen erregte ein Bericht im Inverness Courier im Mai 1933, der über ein „riesiges im Loch tauchendes Tier“ berichtete. Im selben Jahr behauptete ein A.H. Palmer, dass er abends kurz vor sieben Uhr eine Kreatur mit einem Maul von zwölf bis 18 Zoll gesehen hätte. Ein Jahr später wurde das einzige „authentische“ Fotos des Ungeheuers geschossen. Das am 21. April 1934 im Daily Mail abgedruckte Bild des Arztes R.K. Wilson machte weltweit Furore. Doch der Sunday Telegraph hat schon 1994 aufgedeckt, dass das berühmte Foto der wie ein urzeitlicher Plesiosaurier aussehenden Kreatur gefälscht ist. Das R.K. Wilson zugeschriebene spektakuläre Foto soll von einem Marmaduke Wetherell verändert worden sein. Es war ein schlichter Betrug. Doch die behaupteten Sichtungen werden in Drumnadrochit penibel gezählt. Insgesamt soll sich Nessie 108-mal gezeigt haben.

Am Loch Ness selbst konkurrieren gleich zwei Exhibition Centers um ausländische Reisebusse. Im „Loch Ness Clansman Hotel“ kann man sogar die ganze Nacht nach Nessie Ausschau halten. Für 99 Pfund offeriert man ein Zimmer mit Aussicht auf das Loch und damit auf die Möglichkeit einer Sichtung.

Wir eilen gleich an das Ufer des Lochs. „Welcome to the Loch with the monster“ steht dort geschrieben. Es ist grau und regnerisch, die Wolken hängen tief. „Nessie“ würde jetzt ungeheuer gut in die Landschaft passen. Damit die Spannung nicht nachlässt, warnt ein Schild, dass keine Haftung für tödliche Verletzungen (!) übernommen wird. Da gehen wir lieber zurück ins Hotel. Am nächsten Morgen ist eine Schifffahrt über den See Pflicht. Schließlich wird er seit Jahren mit Booten, Tauchglocken, Sonargeräten und Schallwellen abgesucht. Ganze Stafetten von Booten haben den See Yard für Yard abgesucht.

Mit der „Spirit of Skye“ geht es von Inverness nach Urquhart Castle, der idyllisch am Loch gelegenen Burgruine. Der Kapitän erzählt, dass ein Lloyd Scott den 42 Kilometer langen See im Taucheranzug durchquert, aber leider auch kein Ungeheuer gesehen hat. Originell war auch ein weiterer Ortungsversuch: In den 80er-Jahren sollten Delfine das Untier finden. Aber auch Flipper jagte Nessie vergeblich! Erfolgreicher verspricht die Schau im Loch Ness Exhibition Center mit angeschlossenem Hotel Drumnadrochit zu werden. Bescheiden ist man allerdings nicht: Die Multimedia Performance soll den staunenden Besucher von den Anfängen bis ins 3. Millennium führen. Und es ist wirklich erstaunlich, was da alles ausgestellt ist, um ein Tier zu suchen, das es gar nicht geben kann. Der See ist nämlich für ein Reptil viel zu kalt und nährstoffarm, damit ein Ungeheuer überleben kann, wird in der Show überraschend ehrlich zugegeben. Gesucht hat man es trotzdem, mit U-Booten und Bootssperren. Und das Besucherinteresse ist ungebrochen. Inverness zählt im Sommer 100.000 Gäste und die Internet Plattform www.nessie.co.uk bringt es auf mehr als fünf Millionen Besucher. PETER BAUMGARTNER