: Inszeniert statt berichtet
ALTERNATIVKINO Die Reihe „Gegen?Öffentlichkeit“ im Zeughauskino zeigt seltene politische Dokumentarfilme aus den 70er und 80er Jahren
VON TILMAN BAUMGÄRTEL
Medien als Mittel der Emanzipation – so könnte man in einer kurzen Formel einen lang gehegten Traum von fortschrittlich gesinnten Medienschaffenden zusammenfassen, der zuerst von den Regisseuren des russischen Revolutionskinos geträumt wurde. In den 60er und 70er Jahren gaben neue technische Entwicklungen dem Glauben an eine progressive und gesellschaftsverbessernde Rolle der Medien frische Nahrung.
Erst der billige und flexibel einzusetzende 16-mm-Film, dann Video, schließlich Super 8 ließen eine Zeit angebrochen erscheinen, in der Filme jenseits der hegemonialen Strukturen von Kino und Fernsehen möglich wurden. Was im Zeitalter von YouTube und omnipräsenten Smartphones mit HD-Kameras scheinbar zur Realität geworden ist, beflügelte in den 70er und 80er Jahren die schönsten medialen Blütenträume.
Perspektive der Arbeiter
Im Rahmen des Internationalen Festivals des deutschen Filmerbes Cinefest tourt zurzeit eine restaurierte Auswahl aus Alternativ-Film-Produktionen aus den 70er und 80er Jahren durch Deutschland. Im Berliner Zeughaus-Kino kommt zwar nicht unbedingt die repräsentativste Auswahl aus dem gesamten Programm an – es fehlen Produktionen der Medienwerkstatt Freiburg oder vom Videoladen Zürich, die direkt aus den Neuen Sozialen Bewegungen der 70er und 80er Jahre hervorgegangen waren und auf dem politisch besonders mystifizierten Medium Video drehten.
Doch auf jeden Fall gibt es hier die Gelegenheit, einige besonders seltene politische Filme aus dieser Zeit zu sehen. „Rote Fahnen sieht man besser“ (1970/71) von Theo Gallehr und Rolf Schübel stammt aus einer Zeit, als es in Deutschland noch richtige Arbeiter gab: Malocher mit Berufskrankheiten, die sie sich durch jahrelange, harte Arbeit in der Fabrik zugezogen hatten. Die schwer verständliche Dialekte sprechen und statt „Ich“ immer „Man“ sagen. Die Leute vom DGB trugen dicke Hornbrillen, Backenbärte und mit Pomade nach hinten gekämmte Haare, die Bosse sahen im Grunde auch nicht anders aus.
Der Film löste bei seiner Erstausstrahlung in der ARD Proteste aus, weil er angeblich einseitig die Perspektive der Arbeiter einnahm. „Das Ziel war es offensichtlich, mit Äußerungen von vier Betroffenen, die aus der persönlichen schwierigen Situation heraus ohne Mühe zu bitteren Bemerkungen zu bewegen waren, Angriffe auf das gesamte freie Wirtschaftssystem zu führen“, heiß es in der FAZ. „Hier wurde nicht berichtet, sondern inszeniert.“
Auch bei der Welt funktionierten die Springer-Presse-Reflexe zu dieser Zeit noch bestens: „Eine Chance wurde vergeben; die Agitation siegte.“ Ein Song des linken Liedermachers Dieter Süverkrüp wurde bei der Fernsehausstrahlung in der ARD aus dem Abspann entfernt, kann nun aber mit mehr als vierzigjähriger Verspätung bei der Wiederaufführung der restaurierten Fassung gehört werden.
In einer Zeit, in der in Westdeutschland die ersten Bioläden aufmachten und die ökologische Landwirtschaft aufkam, wurde Peter Kriegs „Septemberweizen“ (1980) über das internationale Geschäft mit Lebensmitteln kontrovers diskutiert. Heute erscheint der Essayfilm trotz einer gewissen Engstirnigkeit als Vorgänger von globalisierungskritischen Dokumentationen der letzten Jahre wie „Our Daily Bread“ von Nikolaus Geyrhalter oder „Darwins Alptraum“ von Hubert Sauper.
In einer Zeit, in der auf ostdeutschen Straßen wieder der Slogan „Wir sind das Volk“ zu vernehmen ist, mag es instruktiv sein, sich an den Ursprung dieser Parole zu erinnern. Der Film „Leipzig im Herbst“ wurde von Kamerateams des Defa-Studios für Dokumentarfilme gedreht, als es ihnen im Oktober 1989 endlich genehmigt wurde, die großen Demonstrationen in der Stadt zu filmen: ein Dokument der Proteste, die sich damals nicht gegen Schwächere richteten, sondern gegen die Staatsführung, die sie letztlich zu Fall brachten. Gezeigt wird die Dokumentation zusammen mit dem im Mitropa-Restaurant im Bahnhof Lichtenberg gedrehten Kurzfilm „Imbiss-Spezial“ von Thomas Heise („STAU – Jetzt geht’s los“), der die Trostlosigkeit der letzten Tage der DDR anschaulich vor Augen führt.
■ „Gegen?Öffentlichkeit! – Neue Wege im Dokumentarischen“: Zeughaus-Kino, ab 17. 2., www.dhm.de