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Archiv-Artikel

Illuminaten der Mundmucke

A CAPPELLA SPEZIAL Noch bis zum Sonntag sind beim Festival „Chor@Berlin“ im Radialsystem alle Variationen menschlicher Gesangskunst zu bestaunen – auch dabei das Vokalensemble Delta Q aus Friedrichshain. Ein Probenbesuch im Studio der vier Sangeskünstler

Ein Summen, Brummen oder rhythmisches Tschumm-tschumm liegt in der Luft

VON ANNE-SOPHIE BALZER

Leopold Hoepner haut einen eher dissonanten Akkord in die Tasten eines schlecht programmierten E-Pianos und sagt: „Martin, welche Töne sind das?“ Der Angesprochene sitzt mit geradem Rücken auf dem Sofa, denkt angestrengt nach, summt die einzelnen Töne. „Das müsste irgendwas typisches sein– G über A oder so. Ich höre im Bass die 7. Moment, aber das geht ja gar nicht. Ach, na klar, es ist die Dominante im Bass und die Subdominante oben.“ Oha, denkt man sich.

Es ist kurz nach neun Uhr abends, in einer Altbauwohnung im Erdgeschoss ganz in der Nähe vom Ostkreuz üben vier Männer zwischen Mitte 20 und Anfang 30 Gehörbildung. Das machen sie nur zum Warmwerden.

Sebastian Hengst, Till Buddecke, Martin Lorenz und Leopold Hoepner, die Namen geordnet nach ihren Stimmlagen – Countertenor, Tenor, Bariton und Bass – sind zusammen Delta Q, eine ziemlich erfolgreiche Berliner A-cappella-Band. Sie selbst nennen das, was sie machen, Mundmucke. Wobei sie Wert darauf legen, keine Instrumente zu imitieren. „Wir sind die Instrumente.“ Mit ihrem Instrumentarium spielen sie selbst geschriebene, meist deutschsprachige Songs oder eigensinnig interpretierte Cover.

Rolling in the Deep

Bevor sie ihre Version von Adeles preisgekröntem Song „Rolling in the Deep“ vom Stapel lassen, die der triefenden Schwermut des Originals eine gewisse Leichtigkeit entgegensetzt, müssen sich Delta Q erst verkabeln. „Wir arbeiten mit In-Ear-Mikrofonen, damit wir uns noch unmittelbarer hören können“, erklärt Sebastian und wühlt in einer Kiste. Dann stellt er zwei Antennen in die Raummitte, die die Signale verstärken sollen. „Damit singen wir uns direkt ins Ohr“, ergänzt Leopold. Der Raum ist Teil eines provisorischen Aufnahmestudios und strahlt den Charme eines Proberaums aus.

An der Wand hängen Kabel, in den Schränken stapeln sich Kisten und Gerümpel, eine Spiegelwand gibt es auch – „wir machen viel Action auf der Bühne und die Choreografien üben wir vorher“, erklärt wieder Leopold. „Vier Männer in Gymnastikhosen, die vor Spiegeln turnen, das ist schon ein witziger Anblick.“ Heute ist leider nur Gesangsprobe. Delta Q hat sich 2012 gegründet. Da war Buddecke gerade fertig mit seinem Lehramtsstudium, Hengst hatte erst angefangen mit Gesangspädagogik, Hoepner war schon Grafikdesigner und Lorenz sang abends vor reichen Witwen auf Kreuzfahrtschiffen.

„Den mussten wir von Bord wegcasten“, erzählt Hoepner. Lorenz grinst breit und wippt mit seinen blauen Hausschuhen. Eigentlich sei er Tänzer, erzählt er, klassisch ausgebildet an der Staatlichen Ballettschule in Berlin. Aber gesungen habe er auch immer. Mit seinem etwas heißeren, ziemlich sexy klingenden Tenor bildet er die Mitte zwischen Hengst, der klingen kann wie ein 14-jähriger Justin Bieber, und Hoepner, der alles zwischen Berghain-Subwoofer und Rasenmäher abdeckt.

Einen großen Stimmumfang zu haben, ist für eine A-cappella-Band, die nur aus Männern besteht, wichtig. Man sehe das auch ein bisschen als Herausforderung, sagt Hoepner. „Sebastian mit seinem Countertenor kommt unglaublich weit hoch, das ist schon etwas Besonderes.“

Die beiden kennen sich noch aus Schulzeiten, waren auf dem Friedrichshainer Georg-Friedrich-Händel-Gymnasium. Während Hengst im Chor sang, spielte Hoepner Geige im Orchester. Musikalischen Austausch gab es erst, als Hoepner Hengst fragte, ob er ihm in den Pausen nicht mal was zeigen könnte, gesangstechnisch – die Anfänge von Delta Q. Wieso eigentlich dieser seltsame Name, der nach Illuminaten klingt? Genervter Blick. „Wir wollten auf keinen Fall irgendein blödes Wortspiel mit a cappella und uns.“

Aber wieso denn nun Delta Q? Darauf geben die vier Bandmitglieder viele Antworten. „Da findet man uns auf jeden Fall bei Google“, wäre eine. „Wir finden den Buchstaben Q cool“, eine andere. Weitere Erklärungversuche: „Delta ist der vierte Buchstabe im griechischen Alphabet und wir sind vier“, „Q für Quartett“ – und dann noch ein Querverweis auf den ersten Satz der Thermodynamik. „Also irgendwie doch ein Wortspiel“, gibt Hoepner zu.

Beliebte Wortspiele

Wortspiele bei der Namensfindung von A-capella-Bands sind ähnlich beliebt wie bei Friseuren. Besonders in den USA, wo es seit einigen Jahren einen Hype um Vokalgruppen gibt. Die Gruppen heißen Orcapelicans, Shirley Tempos oder gleich Mouth Noises. Jede Universität, jedes College hat eine oder sogar mehrere rivalisierende Gruppen und die A-cappella-Castingshow „Sing Off“ läuft mittlerweile in der fünften Staffel.

Anders als in den USA ist a cappella in Deutschland trotz Filmen wie „Pitch Perfect“, einer auch hierzulande sehr beliebten College-Komödie um zwei rivalisierende A-cappella-Gruppen an der Barden University, noch nicht bei den Clubgängern angekommen und läuft eher unter Kleinkunst. Die meisten denken wohl immer noch an die Wise Guys, wenn sie a cappella hören.

„Wir spielen schon meistens vor Kabarettgästen auf rotsamtgepolsterten Stühlen“, drückt es Hoepner aus. Aber für dieses Publikum sei man sehr dankbar, denn das sei bereit, einen fairen Preis zu bezahlen. Als die vier allerdings von einem Auftritt auf einem A-cappella-Festival in der Kulturbrauerei im Januar erzählen, wo man sich mit anderen Gruppen einen Battle um den lautesten Applaus lieferte, mit Stehpublikum und kochender Atmosphäre, da leuchten acht Augen. „Da hast du echt was verpasst!“.

Der Wow-Effekt

Der Wow-Effekt ist ein Joker im A-cappella-Genre. Er provoziert ungläubige Aussagen wie: „Und das kommt alles aus eurem Mund?“ Wenn man Delta Q bei ihrer Mundmucke zusieht, staunt man nicht schlecht. Es ist langwierige Präzisionsarbeit, bis alle vier Stimmen harmonieren. Immer wieder muss unterbrochen werden. Dann singen alle einzeln, dann nur zwei, bis der Fehler gefunden ist. „An dieser Stelle schwingen wir nicht zusammen“, sagt Hengst. Es ist schwer, herauszuhören, wer falsch singt, denn es geht dabei um minimale Veränderungen. Buddecke soll allein singen. Er steigt zu hoch ein und korrigiert sich. Lorenz singt mit ihm. „Du schleifst den Ton immer an, merkst du das?“, fragt Hengst. „Na toll, jetzt steht in der Zeitung, dass ich immer falsch gesungen habe“, grinst Buddecke. Das vielfache Probieren und Üben ist anstrengend, irgendwann kichern alle. Hoepner reißt die Fenster zum Lüften auf. Ohne es zu merken, singen alle vier eigentlich immer, manchmal leise, manchmal laut. Ein Summen, Brummen oder rhythmisches Tschumm-tschumm-tschumm liegt immer in der Luft.

Im Radialsystem wird sich Delta Q ein kleines Duell mit dem Berliner A-cappella-Sextett ONAIR liefern. Das Debütalbum ist fertig aufgenommen und in der Postproduktion. Bei Wettbewerben gewinnen Hengst, Buddecke, Lorenz und Hoepner regelmäßig Preise. „Wir hoffen schon alle, dass wir Delta Q irgendwann hauptberuflich machen können.“ Das Delta Quartett ist auf einem guten Weg.

■  Delta Q beim Chor@Berlin Vokalfest, heute, 22 Uhr im Radialsystem, www.radialsystem.de