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Archiv-Artikel

Abgerockter Vaudeville-Charme

UNTERHALTUNGSKUNST Am Schauspielhaus inszeniert Christoph Marthaler John Osbornes Klassiker „Der Entertainer“. Als Nummernrevue über den Versuch einer Theaterfamilie, das eigene Scheitern zu Unterhaltung zu machen

VON KATRIN ULLMANN

Legenden aus längst vergangenen Zeiten sind Rudi Carrell, Karl Dall, Harald Juhnke oder Peter Alexander. Vergleichsweise feinsinnig war ihre Unterhaltungskunst im Gegensatz zu jenen Nasen, die heute als Entertainer gelten: der ganze Olympiastadien füllende Mario Barth, der atemlos Schenkelklopfersprüche reißende Atze Schröder, der seicht parodierende Ingo Appelt oder die in grellpinker Jogginghose über Gott und die Welt berlinernde Cindy aus Marzahn.

Vom Privatfernsehen ist Archie Rice weit entfernt. Er tritt in einer Music Hall auf, einem Musiksaal in einem Seebad an Englands Küste. Archie Rice ist der „Entertainer“ in John Obsbornes gleichnamigem Stück. Am heutigen Samstag bringt Christoph Marthaler das antiillusionistische Drama am Schauspielhaus auf die Bühne. Marthaler, der Entschleunigungskünstler, inszenierte dort zuletzt den traurigkomischen Abend „Heimweh und Verbrechen“.

Uraufgeführt wurde „Der Entertainer“ 1957 am Royal Court Theatre in London mit Laurence Olivier in der Hauptrolle. Das Stück, das Osborne vor dem historischen Hintergrund der Suez-Krise schrieb, und in dem ein abgehalfterter Entertainer unnachgiebig vor sein desinteressiertes Publikum tritt, war ein Schock, der über Nacht die britische Theaterwelt revolutionierte.

Der Dramatiker, dem ein Jahr zuvor sein kommerziell erfolgreichstes Drama „Blick zurück im Zorn“ gelungen war, beschrieb im „Entertainer“ nicht nur den Niedergang der englischen Music Hall und damit einer bestimmten Form des Entertainments. Er schuf auch ein Stück mitten aus dem Arbeitermilieu und das damalige Publikum meinte in dem abgerockten Vaudeville-Charmeur den Niedergang des britischen Königreichs zu erkennen: „Klatschen Sie nicht so laut, Ladies, dies ist ein altes Haus, es könnte leicht einstürzen.“

1960 verfilmte Tony Richardson den Stoff – wieder spielte Laurence Olivier die Titelrolle. In seiner Aufführungsgeschichte wurde „Der Entertainer“ schließlich zu einem universellen Stück über Verlust.

In Marthalers Bühnenfassung weht denn auch kein kohleschwerer, englischer Arbeiterwind. Der von der Dramaturgin Stefanie Carp stark bearbeitete und in die Gegenwart übertragene Text lehnt sich nur noch sanft an Osbornes Original. Das Bühnenbild von Duri Bischoff zeigt eine Bühne in der Bühne, ein Wohnzimmer – vielleicht zeigt es das der Familie Rice, vielleicht eine Theaterbühne, vielleicht aber auch die Kulisse einer ausgefuchsten Fernsehshow.

Jan-Peter Kampwirth – der in der jüngst zum Theatertreffen eingeladenen Inszenierung „John Gabriel Borkman“ (Regie: Karin Henkel) als glücksuchender Sohn des ehemaligen Bankdirektors zu sehen ist – spielt darin Sohn Frank. Für die Vorbereitung auf seine Rolle hat er sich vor allem mit den heutigen Comedians beschäftigt. „Es war eine Qual, sich die alle anzugucken“, bemerkt er ehrlich entsetzt, „aber als Inspirationsquelle waren sie durchaus hilfreich.“ Für ihn ist es die erste Zusammenarbeit mit Marthaler und „ein wunderbares Geschenk, eine sehr glückliche Fügung“.

In einer Art Nummernrevue – eine Band mit Musikern des Hansa-Varieté-Theaters wird ebenfalls auf der Bühne sein – zeigt Marthaler eine schrille Theaterfamilie und ihre verzweifelten Versuche, ihr eigenes Scheitern zur Unterhaltung zu machen. Doch angefüllt mit jeder Menge Gin und voller bizarrer Dialoge befinden sich diese Künstler schon längst im freien Fall.

Der „Entertainer“ ist „eher eine Tragödie“, findet Kampwirth denn auch. Schließlich erzählt der Abend – bei allen noch so grellen Showeinlagen – auch das Sozialdrama der Familie Rice. Er erzählt nicht nur vom gescheiterten Versuch, mit den letzten zur Verfügung stehenden Mitteln das Unterhaltungsgenre aufrecht zu erhalten. Sondern auch von einer verlorenen Kindheit im Schatten eines selbstsüchtigen Künstlervaters.

Gefragt, ob eine gewisse Musikalität für die Zusammenarbeit mit Marthaler hilfreich gewesen sei, entgegnet Kampwirth ruhig: „Ich bin selber gar nicht so richtig musikalisch, aber ich singe dennoch ein Lied und behaupte, dass ich das kann.“ Das zeugt doch von wahrem Entertainmentwillen – und zugleich auch vom Mut, zu scheitern.

■ Premiere: Sa, 14. 2., 20 Uhr, Schauspielhaus. Weitere Aufführungen: 18. 2., 24. 2., 4. 3., 12. 3. und 24. 3.