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Archiv-Artikel

Ohne Schaffner kein Erschleichen

Weil sie das Fahren ohne Ticket auf ihrem T-Shirt angekündigt hat, will eine 19-jährige Schülerin nicht wegen Leistungserschleichung verurteilt werden. Die hannoverschen Verkehrsbetriebe haben dafür wenig Verständnis

„Rechtlicher Hinweis: Ich habe den Fahrpreis nicht bezahlt und bin deshalb Schwarzfahrer“: So oder ähnlich lautet der Aufdruck auf Shirts, Jacken und Kappen, die in „Sirins Schwarzfahrer-Shop“ online vertrieben werden. Das Tragen dieser Kleidungsstücke durch die 19-jährige Schülerin beschäftigt derzeit das Amtsgericht in Hannover. Dort wird Sirin F. wegen des Erschleichens von Leistungen beschuldigt: 16-mal bereits ist sie beim Schwarzfahren erwischt worden und hat dafür schon um die 500 Euro Strafe gezahlt.

Strafrechtlich belangt werden will Sirin jedoch nicht: Sie habe sich die Bahnfahrt nicht „erschlichen“ – wie es im Strafgesetzbuch im Paragraphen 265a heißt. Vielmehr habe sie durch das Tragen der genannten Shirts in Bussen und Straßenbahnen ihre Absicht klar zu erkennen gegeben: Schwarzfahren.

„Es steht eben nicht im Strafgesetzbuch: ‚Wer schwarz fährt, wird bestraft‘“, sagt Sirins Anwalt Marcus Bartscht. Verboten sei nur das „Erschleichen“ einer Busfahrt. „Meine Mandantin hat nicht heimlich gehandelt“, sagt Bartscht, der gute Chancen für Sirin F. sieht: Der Begriff „Erschleichen“ stamme aus der Zeit, als Schaffner noch alle Passagiere in Bus und Bahnen kontrollierten – schwarz fahren also nur durch „Vorbeischleichen“ möglich war. Heute gebe es keine Schaffner, also auch kein Erschleichen mehr, meint der Anwalt.

Er sieht seine Meinung durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1998 gedeckt. „Wer den Anschein einer Ordnungsmäßigkeit beim Schwarzfahren erweckt, ist laut BVG zu bestrafen“, sagt Bartscht. „Wir zerstören diesen Anschein.“ Nach den Pressereaktionen auf den Prozess habe seine Mandantin die Idee gehabt, einen „Trend“ aus dem Schwarzfahrer-Trick zu machen, sagt der Anwalt – erst so sei der Online-Shop entstanden.

Im Gericht zieht man daher in Erwägung, das Ganze handele sich um einen „Marketing-Gag“. Das Wort „Erschleichung“ habe „doch auch eine Täuschungskomponente“, sagt Gerichtssprecher Michael Siebrecht – und macht Sirin wenig Hoffnung. Die Verkehrsbetriebe (Üstra) wollen die Sache notfalls durch alle Instanzen fechten. „Wir wissen die ganze Branche hinter uns“, sagt Üstra-Sprecher Udo Iwannek. Das sei auch „im Interesse der ehrlichen Fahrgäste“. Wer in Hannover in Bus oder Bahn steige, unterwerfe sich einem „Beförderungsvertrag“, sagt Iwannek – „egal, welches Shirt ich trage“. KAI SCHÖNEBERG