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Archiv-Artikel

Der Anstand der Randständigen

NS-GESCHICHTE Ilse-Margrets Vogels Erinnerungen zeigen ein ungeschminktes Bild von Menschen, die sich dem Regime verweigerten

Ilse-Margret Vogel hat keine Flugblätter verteilt. Schon gar nicht war die junge Frau in einer Widerstandsgruppe engagiert. Die junge Malerin bastelte auch keine Bombe gegen das Hitler-Regime. Und dennoch hat sie zusammen mit ihren Freunden dem Nationalsozialismus widerstanden. Ihre fast 50 Jahre nach den Ereignissen entstandenen Erinnerungen geben Zeugnis davon, wie sich die Unangepassten dem NS-Regime in den letzten Kriegsjahren entzogen.

In diesem Buch geht es alles andere als heroisch zu. Ilse-Margret Vogel schreibt über die Angst vor der Gestapo wie vor den Bomben. Sie berichtet von mühevollen Fußmärschen mit dem Handkarren in die Umgebung Berlins, um die Bibliothek eines Freunds zu retten, erzählt vom quälenden Hunger und einem gewaltig großen Hitler-Porträt, dass in einer Art frühem Happening von ihr und ihren Freunden erst in wilden Farben übermal wird, um dann – aus Furcht vor der Entdeckung dieses Frevels – in viele kleine Stücke zerschnitten und entsorgt zu werden.

Auch den Protagonisten haftet nichts Heldisches an. Vogel und ihre Freunde waren Verweigerer, die dem Regime nicht zu Diensten stehen wollten, und Randständige, die sich der postulierten „Volksgemeinschaft“ entzogen. Da ist der schwule Fred, der nicht länger als Regieassistent an Propagandafilmen mitwirken will und sich nun mit allem Tricks dem Wehrdienst entzieht. Dort produziert Oskar in einem Keller gefälschte Papiere. Rudolph, „der dünnste Mann, den ich je kannte“, gelingt es, eine Plastik von Georg Kolbe von Gelände eines bombengefährdeten Friedhofs zu entführen und in Sicherheit zu bringen. Und wir begegnen Hajo, dem untergetauchten Juden, der sich bei Ilse Vogel einquartiert, sich als alkoholsüchtiger und entnervender Eindringling entpuppt, den man nicht mehr los wird.

Diese glänzend geschrieben Geschichten ergeben ein ganz anderes Bild der Hitler-Gegner als das, welches wir aus unzähligen Erinnerungen und Biografien kennen. Es ist ein schmutziges Bild, voller Ängste, ein lebenslustiges, mit Schnaps statt Brot, und ein verzweifeltes – selbst nach Ankunft der sowjetischen Befreier. So werden aus zum Vorbild erklärten und unerreichbar humanistisch gesinnten Widerstandskämpfern ganz normale Menschen – fast. Denn natürlich gehörte eine große Portion Gewissen und Mut dazu, um sich dem Regime zu verweigern. Beides war rar gesät in den Jahres des Terrors.

Keiner der Beteiligten hat im Nachkriegsdeutschland Ruhm und Ehre erlangt, so sie den Krieg überlebten. Sie werden in keinem Schulbuch erwähnt. Und dennoch sind es Geschichten wie die von Ilse-Margret Vogel, die siebzig Jahre später den Anständigen unter den Deutschen ein Denkmal setzen.

KLAUS HILLENBRAND

■ Ilse-Margret Vogel: „Über Mut im Untergrund“. Hg. von Jutta Hercher und Barbara Schieb. Lukas Verlag, Berlin 2014, 221 S., 19,80 Euro