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Archiv-Artikel

STADTGESPRÄCH AUS TAIPEH Ratlos im Cockpit

DIE TAIWANER MACHEN SICH GROSSE SORGEN WEGEN DER QUALITÄT IHRER PILOTEN. AUS GUTEM GRUND

Eigentlich ist in Taiwan derzeit Hauptreisezeit. Das chinesische Neujahrsfest steht bevor – was für Chinesen Weihnachten, Neujahr und Sommerferien in einem ist. Viele Taiwanchinesen nutzen die freien Zeit, um ein paar Tage fernab der Insel zu verbringen. Doch seit dem Absturz einer Verkehrsmaschine der taiwanesischen Fluggesellschaft TransAsia mit 42 Toten, mitten in der Millionenstadt Taipeh, ist vielen die Freude am Fliegen vergangen.

„Schockiert hat mich nicht so sehr das Unglück selbst“, sagt die 63-jährige Rentnerin Weizhen Liang, die für nächste Woche am zweiten Neujahrsfeiertag eine Flugreise zu Verwandten nach Schanghai geplant hat. Flugangst mache ihr allerdings das Ergebnis des Leistungstests der Piloten.

Die zweimotorige Turbo-Prop-Maschine vom Typ ATR 72 war am 4. Februar wenige Minuten nach dem Start vom Stadtflughafen von Taipeh in fast senkrechte Schräglage geraten. Nur knapp konnte der Pilot das Flugzeug noch über die Wohnhäuser lenken. Er rammte mit der linken Tragfläche aber eine Autobahnbrücke, das Flugzeug stürzte in den Fluss. Nach bisherigem Ermittlungsstand fiel eine Turbine aus technischen Gründen aus. Die zweite Turbine hat der Pilot aber wahrscheinlich aus Versehen manuell ausgeschaltet. Den Herstellern zufolge hätte die Maschine auch mit nur einer Turbine weiterfliegen können.

Taiwans Luftfahrtbehörde hat seither sämtliche Piloten von TransAsia angewiesen, sich einem Leistungstest zu unterziehen. Das Ergebnis schockiert: In der mündlichen Prüfung, die speziell abfragt, was in Notfällen zu tun sei, fielen zehn der insgesamt 71 Piloten von TransAsia durch. 19 blieben dem Test krankheitsbedingt fern. Insgesamt 29 Piloten der taiwanesischen Billigfluglinie sind nun vorläufig suspendiert. „Das Ergebnis ist für uns nicht akzeptabel“, sagte TransAsia-Chef Peter Chen und versprach das Training zu verstärken. Das beruhigte so recht kaum jemanden: In dem vor allem unter jungen Leuten weit verbreiteten Kurznachrichten- und Debattendienst Line häufen sich nun die Klagen: „Was ist nur mit unseren Piloten los?“, fragt eine Nutzerin namens Jun. In Dutzenden Zuschriften berichten ihr daraufhin Landsleute von äußerst ruckeligen Flugerfahrungen. „Als Inselstaat muss Taiwan doch besonders großen Wert auf gute Piloten legen“, beklagt sich ein Nutzer. Es war nicht das erste Flugunglück: Im vergangenen Juni kamen bei einem Absturz über 48 Menschen ums Leben, nach bisherigen Ermittlungen ebenfalls aufgrund von menschlichem Versagen. Zhu Ruzhu von der Technikuniversität in Taipeh hat das miserable Abschneiden der Piloten nicht überrascht. Der Boom der Luftfahrtindustrie in Ostasien in den vergangenen Jahren habe dazu geführt, dass Taiwan die Piloten und Flugzeugmechaniker ausgingen, sagte er der Tageszeitung China Times: „Vor allem das chinesische Festland wirbt eifrig ab.“ Während ein Pilot in Taiwan durchschnittlich rund 60.000 Taiwan-Dollar im Monat verdiene (rund 1.700 Euro), werde ihm in der Volksrepublik fast das Dreifache geboten.

Um den Notstand zu beseitigen, haben Taiwans Behörden die Mindestanforderungen drastisch gesenkt. Die Pilotenausbildung wurde von einst zweieinhalb auf nunmehr ein Jahr verkürzt. Während in den USA ein Pilot erst nach mindestens 1.500 Flugstunden eingesetzt werden darf, reichen in Taiwan 250 Stunden. Zhu: „Kein Wunder, dass viele Piloten in Notfällen nicht wissen, wie sie adäquat zu reagieren haben.“

Die Debatte über eine schlechte Pilotenausbildung ist keineswegs auf Taiwan beschränkt: Die rapide Expansion der Luftfahrtindustrie stellt die Fluglinien weltweit vor große Probleme. In den kommenden 20 Jahren werden fast eine halbe Million neue Piloten für den Passagierverkehr benötigt werden, prognostiziert eine Studie, die der US-amerikanische Flugzeugbauer Boeing vor einem Jahr veröffentlichte.

Am größten sei der Bedarf in Asien. Dort würden in den nächsten zehn Jahren fast 200.000 neue Piloten gesucht. Eine Kommentatorin im Kurznachrichtendienst Lime hat eine Lösung parat: „Taiwan soll endlich auch weibliche Piloten ausbilden“, schreibt sie. Japan mache das schon.

FELIX LEE AUS TAIPEH