: Wolfgang Jüttner als Gabriel-Ketzer
Niedersachsens SPD will ein Gesetz zur Erdverkabelung von Ministerpräsident Wulff und Bundesumweltminister Gabriel verbessern. Die Stromtrassen sollen komplett unterirdisch verlegt werden können
Sigmar Gabriel tat es, Christian Wulff tat es: Gegen die Big Shots der eigenen Partei in Berlin stänkern, um sich zu Hause zu profilieren. Versucht nun auch SPD-Fraktionschef Wolfgang Jüttner aus Niedersachsen mit seinem Erdkabel-Gesetz, den Parteikollegen und Bundesumweltminister Gabriel zu attackieren? So sah es zumindest David McAllister an diesem Freitag im Landtag in Hannover : „Da müssen wir Herrn Gabriel gegen seinen innerparteilichen Kritiker in Schutz nehmen“, sagt der CDU-Fraktionschef in Richtung Jüttner. Verkehrte Parteienwelt, und das genau 100 Tage vor der Landtagswahl?
Erst in der vergangenen Woche hatte CDU-Regierungschef Christian Wulff einen gemeinsam mit Gabriel erarbeiteten Gesetzentwurf präsentiert, der die Verlegung von unterirdischen Hochspannungskabeln ermöglichen soll – bundesweit erstmals in Niedersachsen. Planungen des Energieversorgers Eon, in Niedersachsen insgesamt rund 400 Kilometer lange Schneisen für die rund 60 Meter hohen Masten zu schlagen, hatten zuletzt vor allem im Süden des Bundeslandes zu heftigen Protestwellen geführt.
Gegen eine 180 Kilometer lange 380-Kilovolt-Freileitung von Wahle bei Peine ins nordhessische Mecklar hatten Bürgerinitiativen schon 35.000 Unterschriften gesammelt. Sie haben Angst vor Elektrosmog und wüten gegen die Verschandelung der Landschaft.
Nach dem Wulff-Gabriel-Vorschlag sollen die Leitungen künftig 200 Meter entfernt von Häusern unter der Erde verlegt werden, in Landschaftsschutzgebieten werden oberirdische Stromautobahnen ganz verboten. Der Clou dabei: Die Mehrkosten dafür sollen verschwindend gering ausfallen, da sie auf alle Verbraucher umgelegt werden können.
„Das kann es noch nicht sein“, sagte Jüttner im Landtag. Ihn stört am Gesetzentwurf, dass bislang die Energieversorger die Verlegung unter Tage nach eigenen Berechnungen ermöglichen dürfen. Der SPD-Mann fordert eine gesamtwirtschaftliche Kalkulation, in die auch der verminderte Kohlendioxidausstoß durch Erdkabel einbezogen wird – sie sind energiesparender als oberirdische Leitungen. „Erdkabel dürfen nicht nur dann möglich sein, wenn es sich für das Energieunternehmen lohnt“, sagt Jüttner.
Außerdem plädierte er dafür, dass im Erdkabelgesetz auch die komplette Verlegung unter Tage ermöglicht wird. Wulff hatte geschätzt, dass nur ein Fünftel der Trassen unterirdisch verlegt werden könnten. Wolfgang Jüttner ist nicht der Gabriel-Ketzer, zu dem ihn die CDU machen wollte – auch wenn das viele in der SPD beklagen. Umgehend deutete er Kompromissbereitschaft an: „Ich denke“, sagte der Fraktionschef, „dass es zum Konsens kommen kann.“ Das Gesetz soll im Dezember dieses Jahres verabschiedet werden.KAI SCHÖNEBERG