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Archiv-Artikel

Juden in Dänemark und Frankreich sind entsetzt

REAKTIONEN Während die Zahl der Auswanderer aus Frankreich nach Israel stark wächst, emigrieren nur wenige dänische und deutsche Juden

Jüdische Gräber geschändet

■ „Barbarischer Akt“: Im Osten Frankreichs sind nahe der deutschen Grenze Hunderte Gräber auf einem jüdischen Friedhof geschändet worden. Präsident François Hollande sprach von einem barbarischen antisemitischen Akt. „Frankreich ist entschlossen, unnachgiebig gegen Antisemitismus zu kämpfen und gegen alle, die die Werte der Nation attackieren wollen“, erklärte Hollande am Sonntagabend.

■ Festnahmen: Innenminister Bernard Cazeneuve kündigte strafrechtliche Ermittlungen wegen der Zerstörung auf dem Friedhof in Sarre-Union an. Nach Medienberichten wurden dort etwa 200 Grabsteine umgeworfen und wurde ein Holocaustmahnmal beschädigt. Am Montag wurden fünf Jugendliche im Alter zwischen 15 und 17 Jahren festgenommen. Sie bestritten jede antisemitische Motivation. (ap, taz)

PARIS/STOCKHOLM/JERUSALEM taz | Die Parallelen zwischen dem mörderischen Angriff auf Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt Hyper Cacher sind deutlich genug. In der jüdischen Gemeinschaft haben die Attentate in Dänemark Wunden aufgerissen, die noch nicht verheilt waren. Die beschwörenden Worte von Präsident François Hollande, der am Montag zur nationalen Einheit gegen den Antisemitismus aufrief, und auch der direkte Appell an die jüdischen Mitbürger, Frankreich wegen der Bedrohung nicht zu verlassen, genügen vielen Betroffenen nicht. Mehrfach schon hatten Politiker nach antisemitischen Aggressionen erklärt: „Wenn in Frankreich ein Jude angegriffen wird, wird die Republik attackiert.“ Verhindert haben diese Proteste nichts.

In einem Kommuniqué äußerte Frankreichs Großrabbiner Haïm Korsia seine Bestürzung über die Attentate in Kopenhagen: „Einen Monat nach den dramatischen Ereignissen von Paris sind die jüdische Gemeinschaft und der Kampf für die freie Meinungsäußerung erneut als Angriffsziele in einer tragischen Schicksalsgemeinschaft vereint“, sagte er und forderte entschlossene repressive und erzieherische Maßnahmen.

Nicht alle etwa 500.000 französische Juden wollen unter Polizeischutz leben und in dem Gefühl, von einer Minorität im eigenen Land als „Feinde“ betrachtet zu werden. 2014 hat sich die Zahl der Auswanderer nach Israel auf den Rekordstand von mehr als 7.000 erhöht. Vor zwei Jahren wanderten nur 1.900 Menschen aus. Die jährliche Statistik der französischen „Alija“-Kandidaten der Jewish Agency in Jerusalem wird so zu einem Indikator des Antisemitismus.

„Wir lassen uns vom Terrorismus nicht unser Leben diktieren“, betonte Jair Melchior, Dänemarks Chefrabbiner, auf einer Pressekonferenz der dänischen jüdischen Gemeinde am Montag in Kopenhagen: „Wir werden auch weiterhin unser alltägliches Leben wie Juden leben und uns nicht verstecken.“ Gleichzeitig kritisierte er Aufrufe an in Europa lebende Juden, nach Israel auszuwandern. Vergleiche mit der Situation im Zweiten Weltkrieg seien „ärgerlich und unangemessen“: „Dies sind keine Pogrome. Dies sind bösartige Terroristen, die es nicht verdient haben, uns vorzuschreiben, wie wir zu leben haben.“

Dan Rosenberg Asmussen, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, erklärte, gerade jetzt komme eine Auswanderung zum falschen Zeitpunkt. „Stattdessen benötigen wir die Unterstützung von Juden aus aller Welt, um hier weiterhin leben zu können. Auch von denen aus Israel.“ Nach Angaben der Jewish Agency wanderten 2012 nur 18 dänische Juden nach Israel ein.

Was nun hoffentlich kommen werde, sei ein permanenter Schutz von Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen, forderte Asmussen: „Wir haben seit Jahren darum gebeten und hoffen, dass die Sicherheitsbehörden ihre Einstellung jetzt endlich ändern werden.“ Die jüdische Gemeinde in Dänemark zählt rund 3.000 Mitglieder, die Gesamtzahl der Juden wird auf 6.000 bis 7.000 geschätzt. Vor dem Holocaust konnten sich 1943 nahezu alle Juden vorwiegend durch Flucht nach Schweden retten.

In Berlin versicherte Kanzlerin Angela Merkel, dass die jüdischen Bürger gut geschützt würden. „Wir möchten gerne mit den Juden, die heute in Deutschland sind, weiter gut zusammenleben“, sagte sie. Die Gemeinden in Deutschland vertreten etwa 100.000 Juden. Die Zahl der Auswanderer aus der Bundesrepublik nach Israel ist seit Jahren sehr klein. Die Jewish Agency geht von etwa 100 bis 130 Immigranten pro Jahr bei relativ gleichbleibender Tendenz aus.

RUDOLF BALMER, REINHARD WOLFF, SUSANNE KNAUL