: Tausend Ideen
Die Tüftler gehören zum Land wie der Dübel in die Wand. Bei den Patentanmeldungen halten die baden-württembergischen Erfinder den Deutschland-Rekord, und im Stuttgarter Haus der Wirtschaft gibt es deshalb eine richtige Erfindersprechstunde. Landvermessung Teil fünf
von Susanne Stiefel
Im Land von Margarete Steiff und Robert Bosch ist er der Chef aller Erfinder. Helmut Jahnke leitet das Stuttgarter Informationszentrum für Patente, und er kennt seine Pappenheimer. Nicht alles ist so kurios wie die Erfindung eines älteren Herrn. Der wollte am Grab eine Glocke anbringen, die mit einem Seilzug in den Sarg verbunden war. Falls je ein Scheintoter wieder aufwachte, könnte er sich so bemerkbar machen. Doch wer hätte es gedacht – dieses Patent gab's schon.
Der ältere Herr schaffte es mit einer Weiterentwicklung dennoch: Die elektrische Sargklingel brachte es zum Patent. Eine florierende Geschäftsidee wie die Erfindung der Steifftiere oder der Magnetzündung war es nicht. „Offensichtlich haben viele Menschen Angst, lebendig begraben zu werden“, sagt der Diplom-Ingenieur mit einem Lächeln und gibt zu bedenken: „Die Technik kann nicht alle Probleme lösen.“ Probleme allerdings stehen am Anfang jeder Erfindung.
Es ist Donnerstag und damit der Tag der Erfinder im Stuttgarter Haus der Wirtschaft. Heute sitzt hier ein Anwalt, der die ideenreichen Problemlöser in Sachen Patent berät. Kostenlos. Um neun Uhr haben sich schon fünf Männer und Frauen in die Liste eingetragen, am Ende des Tages sind es 15 Ratsuchende. Nun sitzen sie an den Bildschirmen und werden von Jahnkes Mitarbeitern bei ihren Patentrecherchen im Internet unterstützt, bevor sie dem Experten ihr Problem schildern.
Die Geheimhaltung ist erste Erfinderpflicht
„Bei vielen leuchten die Dollarzeichen in den Augen“, weiß Jahnke aus vielen Jahren Erfahrung. Aber nur wenige sind erfolgreich. Überhaupt ist der private Bastler auch hier im Südwesten eine Ausnahme. Die meisten Patente werden von Firmen angemeldet. Gemeinsam ist ihnen allen: Geheimhaltung ist die erste Erfinderpflicht. Ob der dunkelhaarige Mann vor dem Bildschirm wohl sein Geheimnis rausrückt?
Die Dollarzeichen hat er schon in den Augen. Und nervös ist er wie ein Rennpferd. Doch seinen Namen will der Mittdreißiger genauso wenig nennen wie seine Erfindung. Nur so viel: Die Grundidee hatte ein Freund, er hat sie weiterentwickelt, und beide sind sich sicher, dass man damit viel Geld machen kann. Nun wollen sie sich die Idee schützen lassen, und in zwei Wochen wollen sie schon produzieren: „Ich weiß nicht, wie ich das alles schaffen soll“, stöhnt der Karosserie- und Fahrzeugbaumeister und seufzt erwartungsvoll: „Das könnte ganz groß werden.“
Es sei nicht seine erste Erfindung, erzählt der aufgeregte Tüftler. Er habe bereits viele Ideen gehabt, und von manchen seien andere schon reich geworden. Die zwanzigste soll nun den Geldsegen über ihn und seinen Freund herunterregnen lassen. Das Patent muss her. Die zwei haben die Nummer fünf gezogen. Noch drei vor ihnen beim Patentanwalt. „Ich hab eigentlich keine Nerven, um mit Ihnen zu reden“, sagt der nervöse Erfinder.
Viele Männer sitzen in dem großen Raum im ersten Stock des Hauses der Wirtschaft, aber auch einige Frauen. Die meisten von ihnen wollen sich einen Titel oder eine Marke eintragen lassen. So wie Sonja Heim. Die junge Frau ist Geschäftsführerin des Vereins singende Krankenhäuser, und diesen Namen wollen sich die singenden Aktivisten schützen lassen. Heim hat die Nummer 13 und vertreibt sich die Zeit mit der Lektüre des Wälzers „Schwäbische Tüftler und Erfinder“ und „Die berühmten Erfinder“. „Das hilft, die Zeit zu überbrücken“, sagt sie. Sie ist hier die Einzige, die ausgesprochen gerne über ihr Projekt redet, von der heilenden Wirkung des Singens, von dem Bestreben, dies in die Krankenhäuser zu tragen. Sonja Heim lacht. „Sie können schreiben, was Sie wollen“, sagt die Nummer 13. Sie hat keine Angst, dass ihr jemand die Idee klaut. Sie will im Gegenteil, dass ihre Idee bekannt wird.
Die zwei Männer, die gerade die Tür zum Patentanwalt hinter sich zumachen, haben genau davor Angst. Sie arbeiten als Controller für eine große Firma in der Qualitätssicherung. Sie haben eine Idee, wie man das effektiver und umweltschonender machen könnte. „Wir haben tausend Ideen“, sagen sie selbstbewusst. Eine soll nun ihr Glücksbringer werden. Sie wollen sich gegen ihre Firma absichern.
Vor drei Jahren, so erzählt einer der beiden Bastler, hatte er schon mal einen Verbesserungsvorschlag. Der wurde abgelehnt und Jahre später doch umgesetzt. Beschwert habe er sich nicht, aber daraus gelernt. Wenn er seinen neuen Vorschlag seinem Chef präsentiert, will er präpariert sein.
Fünfzehn Männer und Frauen haben sich an diesem Oktobertag eingefunden zur Erfinderberatung. Pro Jahr sind es 6.000 Besucher, die persönlich bei Jahnke und seinen Mitarbeitern erscheinen, etwa 600 von ihnen nutzen die Beratung durch einen Patentanwalt. Die meisten wollen Namensrecht oder Design schützen lassen. „Beim Tüfteln sind die Frauen in der Minderheit“, sagt Jahnke. Technik ist nicht nur in Baden-Württemberg fest in Männerhand.
Schwabenland, Tüftlerland. Ein Mythos. Albert Einstein, der in Ulm geboren wurde. Wilhelm Maybach aus Löwenstein. Oder Wilhelm Schickardt aus Herrenberg, den sie auch den schwäbischen Leonardo da Vinci nannten. Er baute 1623 die erste Rechenmaschine der Welt. In Schwaben werden sie Käpsele genannt, und sie alle sind im kollektiven Gedächtnis als schwäbische Tüftler gespeichert. Nur der Schreinergeselle Georg Elser aus Königsbronn findet dort keinen Platz. Genau ausgetüftelt hatte er seine Höllenmaschine, mit der er ein Attentat auf Hitler ausführte. Eine Art Zeitbombe hat Elser gebaut, um lange vor Stauffenberg und den Attentätern des 20. Juli Hitler zu stoppen.
Nächtelang hat er über seiner Maschine gebrütet, hat ausprobiert, Modelle gebaut, verbessert, perfektioniert, bis am Schluss alles funktionierte. Hitler überlebte an jenem 8. November 1939 nur, weil er nach seiner Rede den Münchner Bürgerbräukeller früher verließ als geplant – nur Minuten vor der Explosion des Sprengsatzes.
Georg Elser wurde lange die Anerkennung als Widerstandskämpfer versagt. Doch er war beides: ein Widerstandskämpfer und Erfinder, der ein Ziel hatte: „Ich habe den Krieg verhindern wollen.“ Nicht die schlechteste Motivation für eine Erfindung.
Für den Erfolg muss erst die Zeit reif sein
Helmut Jahnke leitet das Stuttgarter Informationszentrum seit 1995. Der 50-Jährige steckt voller Geschichten von Erfindern und Erfindungen. Sie liegen nicht nur im Archiv des Landesgewerbeamts, auf CDs oder online. Sie lagern auch in Jahnkes Kopf. Er weiß von sinnfreien Erfindungen zu berichten wie etwa dem Tamagotchi. Er weiß, dass die Zeit reif sein muss, damit sich der Erfolg einstellt: Inliner wurden schon in den 30er-Jahren entwickelt, konnten sich aber erst in den 80er-Jahren gegen Rollschuhe durchsetzen. Er kennt skurrile Ideen wie die eines englischen Pubbesitzers, der die Teekanne mit zwei Hälsen erfand, um zur Teatime schneller zu Potte zu kommen. Er mag sie, seine manchmal schrulligen Männer und Frauen.
Und so hat der Mann, der weiß, dass Erfinder schnell sein müssen, dafür gesorgt, dass seine Tüftler direkt mit dem Deutschen Patent- und Markenamt in München verbunden sind: über den Briefkasten vor dem Haus. Wer seine Unterlagen am Montag im Haus der Wirtschaft einwirft, wirft den aus dem Rennen, der seine Idee erst am Dienstag anmeldet. Deshalb hat der Briefkasten vor dem Haus der Wirtschaft so viele Schlitze, wie die Woche Tage hat. Und drinnen wird der Posteingang genau festgehalten.
Jahnke tut etwas für die Daniel Düsentriebs aus dem Land. Und über allem schwebt der Erfindergeist. Er ziert Aufkleber und Broschüren und sieht aus wie ein Gespenst. Einst stand er als Halloween-Geist auf einem der Schreibtische von Jahnkes Mitarbeitern. Nun schwebt er als Maskottchen über den Tüftlern, von Bosch bis Elser und den vielen anderen schwäbischen Erfindern.