: Droge und Dealer
Es muss schon eine Villa am Genfer See sein und ein Maserati dazu. Darunter geht es bei den jungen Bankern nicht. Das sagt kein Occupier, sondern ein renommierter Fachmann, der Banken berät. Im Kontext-Interview erklärt der Wirtschaftsprofessor Bernd Nolte, warum den Gelddealern die Realität „völlig egal“ ist und warum er den Protest der Straße teilt. Eine Bank sei nicht Borgia, sagt er, und die Geburtstagsparty von Kanzlerin Merkel mit den Ackermännern ein „absoluter Frevel“
Bernd Nolte (48) ist geschäftsführender Gesellschafter der mehrfach ausgezeichneten Stuttgarter Beratungsfirma 4P Consulting, deren Schwerpunkt im (genossenschaftlichen) Bankbereich liegt. Außerdem lehrt der Wirtschaftsprofessor bei der Steinbeis-Stiftung sowie an Universitäten in Berlin, Tokio und Ulan Bator Foto: Uli Reinhardt
Interview von Josef-Otto Freudenreich und Rainer Nübel
? Herr Nolte, wir kriegen immer häufiger den Rat, uns einen Kartoffelacker zuzulegen, um nach dem Crash noch etwas zu beißen zu haben. Raten Sie auch dazu?
Das ist hilfreich, aber nicht ausreichend. Wenn Sie auf den Kartoffelacker setzen, müssen Sie ihn fußläufig erreichen können. Andernfalls brauchen Sie ein Auto, Benzin oder zumindest ein Fahrrad. Und alles kostet Geld, und dafür brauchen Sie wieder eine Bank.
Die unser Geld auf den Cayman Islands verjuxt.
Der derzeit diskutierte Vorschlag, zur alten Sparerbank zurückzukehren, bei der Tante Emma und Opa Fritz ihr Geld abliefern, kommt ja nicht von ungefähr. Er funktioniert, solange sich die Banker mit bescheidenen Gewinnspannen zufriedengeben. Aber die Zeiten sind vorbei. Heute geht es darum, sexy zu sein.
Der Banker im grauen Anzug ist sexy?
Glauben Sie vielleicht, es sei aufregend, der 25. Vorstand einer Bank zu sein, die Geschäfte mit Zahnärzten macht? Der hat tausendmal durchgerechnet, wie viel Patienten die haben, in welchen Wohnlagen sie bohren, wie viel Konkurrenz sie haben und wann sie ihre Kredite zurückzahlen. Das ist stinklangweilig. Es ist doch viel spannender, wenn er seinen Kumpels erzählen kann, dass er in Dublin eine Tochtergesellschaft aufgemacht hat, die mit großartigen Steuereffekten und Bilanzierungstricks arbeitet. Damit werde er dem lästigen Konkurrenten vor Ort mal richtig einheizen.
Und das soll sexy sein?
Was Sie davon halten, ist ohne Bedeutung. Wichtig ist, wie die eigene Community darüber denkt. Nur die, so glauben diese Banker, kann beurteilen, was sie draufhaben. Dann muss es noch ein Maserati und eine Villa am Genfer See sein, und schon stimmt das Weltbild. Die Realität ist ihnen völlig egal. Financial Freedom und Macht heißt ihre Devise. Entscheidend ist die Performance in den eigenen Kreisen und das Spiel mit dem Risiko. Das ist wie Borgia, die machtbesessene Renaissance-Familie.
Klingt in der Tat interessant.
Es ist wie im richtigen Leben: Wenn Sie die Auswahl zwischen drei Drinks haben, von denen Sie einer richtig absegeln lässt – welchen nehmen Sie? Oder wenn Sie in die Disco gehen, dort eine supertolle Frau treffen, die einen hohen Reputationseffekt hat, dann gehen Sie doch auch ein Risiko ein.
Dass ich ihr auf die Füße trete …
Nein. Dass Sie viel Geld in Ihre Eroberung investieren, Hotel, Essen, Schmuck, und dann kommt ein spanischer Grande vorbei, und schon ist sie weg.
Die Frau ist also meine Aktie, die durch die Decke knallt.
Oder in den Keller geht. Das ist das Risiko. Aber das muss ich eingehen, wenn ich meinen Ertrag immer weiter steigern will. Ob Aktie oder Frau – entscheidend ist das Maß der Bewunderung und der Kick. Ein kleines Problem ist noch die Realitätskurve, die zwischen Anspruch und Wirklichkeit liegt. Es kann sich auch herausstellen, dass die Frau nur blond ist.
Reden wir jetzt über Silvio Berlusconi?
Nein. Der spielt in seiner eigenen Liga. Er ist Monopolist.
Wenn Sie den alten Bankern solche Geschichten erzählen, müssten die zumindest erstaunt sein.
Die verstehen die Welt nicht mehr. Sie sind groß geworden mit überschaubaren Kapitalmärkten und wenigen Spielern und dem Bewusstsein, dass eine Bank Verantwortung gegenüber den Menschen hat. Die Bank war für sie nicht Hanuta oder Bonita, sondern so wichtig wie das Gesundheitswesen. Also eine Grundfeste, auf die man sich verlassen konnte. Sie bekennen offen, dass sie die Manager und das System von heute nicht mehr durchschauen, selbst wenn ich ihnen stundenlang erkläre, wie Derivatkonstrukte und Hebeleffekte funktionieren. Am Ende bleibt immer eine Erkenntnis: Die Burschen verdienen im Kundengeschäft nicht genug, oder sie sind zu faul, im Kundengeschäft ihren Hintern zu bewegen. Deshalb jagen sie abenteuerlichen Renditen in anderen Geschäftsfeldern nach, und das gehört ihnen verboten.
Möglicherweise hat sich auch die Kundschaft verändert, die nicht mehr nur einen Bausparvertrag will.
Es ist die Gier auf beiden Seiten. Wenn einer um die Ecke kommt und sagt, du kriegst 3,5 Prozent, dann setzt der Verstand aus. Vor einiger Zeit hat mir ein Sportsfreund erzählt, er sei bei einer isländischen Bank eingestiegen, weil sie Werbung in der Champions League mache und für ihre Versprechungen garantiere. Da fällt dir nichts mehr ein. Das ist wie Droge und Dealer.
Da ist es schon vertrauenerweckender, wenn die Kanzlerin mit den Großbankiers Geburtstag feiert.
Über den ökonomischen Sachverstand von Politikern will ich lieber schweigen. Aber was die Geburtstagsparty anbelangt, will ich doch von einem absoluten Frevel sprechen. Das ist genau das Bild, das der Normalbürger von dieser Welt hat. Am Ende der Entscheidungskette hocken immer die Gleichen beieinander. Mein Vater guckt mich dann an und sagt: Das ist doch ein Gesocks.
Ihnen ist offenbar entgangen, dass die Banker nach dem Lehman-Crash demütig sein wollten.
Das geht mir, ehrlich gesagt, auf die Nerven. Was soll die Floskel, mit der man sich zum Gutmenschen machen will? Im Banking reicht es nicht, dass jemand demütig ist, christlich, sozialdemokratisch oder grün daherredet. Ich will, dass der Banker mit dem Geld anderer Leute solide und sauber arbeitet, und wenn er es nicht tut, dafür bestraft wird. Und dafür brauchen wir klare Regeln. Manche Menschen beeindrucken Sie nur mit Freiheitsentzug. Die Zumwinkels am Gardasee zum Beispiel.
Sie reden wie ein Occupier.
Ich kann die jungen Leute verstehen. Ihre Wut und ihren Zorn. Sie haben den Eindruck, ständig belogen zu werden. Von der Politik und den Banken. Man traut ihnen einfach nicht mehr. Sie wollen Ehrlichkeit, Anstand und Solidarität. Das ist alles klasse, und ich denke mir immer, es ist eigentlich bescheuert, dass wir das nicht hinkriegen. Aber das reicht nicht. Das ist so sozialromantisch wie der Kartoffelacker und wird wieder einschlafen.
Immerhin meldet sich der Kommunikationschef des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands, Christian Achilles, und bietet Occupy Gespräche auf Leitungsebene an.
Das ist pures Marketing und soll nach dem Motto funktionieren: Die Occupier sind lieb und nett, und da wollen wir auch dazugehören. Wie Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble. Richtig ist, dass es bei den Sparkassen viele gibt, die nur saubere Geschäfte wollen, kein Investmentbanking, und daran erinnern, dass sie damit vor 40, 50 Jahren auch gut gefahren sind. Wenn Herr Achilles das meint, dann wäre es sehr schön.
Die Sparkassen gelten doch immer als die Guten.
Die müssen aufpassen, dass sie nicht in den Strudel hineingerissen werden. Spricht heute eigentlich noch jemand von den toxischen Papieren der LBBW? Ich komme gerade von einem badischen Sparkässler, der vor fünf Jahren europäische Staatsanleihen gekauft hat, um seine Ertragslage verbessern und seinen Kunden bessere Konditionen anbieten zu können. Er will ja mit den Discountbanken mithalten. Jetzt sind die Witwen- und Waisenbriefe zu Schreckenspapieren geworden, weil sie ihm die Gewinn- und Verlustrechnung verhageln. Er hat damit ein richtiges Kapitalproblem, das er eigentlich nur lösen kann, wenn er im großen Stil Personal abbaut. Und davon hat er ohnehin nicht mehr sehr viel.
Hätte ein Herrhausen heute noch eine Chance, Bankchef zu sein?
Vermögensblase Es gibt sie noch, die Vernünftigen! Es freut mich zu lesen, dass die wirtschaftlichen Einsichten noch vorhanden sind. Vor 100 Jahren hat uns John Maynard Keynes ins Stammbuch geschrieben, dass Geld nicht gegessen werden kann. Die heutige „Vermögensblase“ sucht Anlagemöglichkeiten, kauft die halbe Welt auf, und Menschen verhungern, weil das Getreide auf dem Papier bereits verkauft ist. Zurück zu den Wurzeln der Ökonomie, nicht der privaten, sondern dem makroökonomischen Gleichgewicht einer Volkswirtschaft: Volk und Wirtschaft und Politik hatten zu Erhards Zeiten an dem gemeinsamen Ziel gearbeitet, ein Gleichgewicht von Wachstum, Preisstabilität und Vollbeschäftigung zu erreichen und zu erhalten! peterwmeisel
Stimmenverlust „Ich kann die jungen Leute verstehen. Sie haben den Eindruck, ständig belogen zu werden. Von der Politik und den Banken. Sie wollen Ehrlichkeit, Anstand und Solidarität.“ Ein Punkt, der die etablierte Politik viel mehr beschäftigen sollte, wenn sie nicht Stimmen an Protestwahlparteien wie die Piraten verlieren oder Nicht(mehr)wähler generieren möchten. Nikosson
Wir bräuchten viele Herrhausens. Ich habe ihn sehr bewundert, weil er etwas getan hat, was man von einem Kapitalisten nicht erwartet hätte: den Schuldenerlass für Südamerika. Er hat sich von dem Irrglauben verabschiedet, der Kontinent könnte die Schulden zurückzahlen, und zugleich hat er damit den Weg für den Wiederaufbau freigemacht. Und zum Zweiten hat er noch an die soziale Marktwirtschaft geglaubt, die vom sozialen Frieden lebt.
Jetzt haben wir zumindest einen Schuldenschnitt für Griechenland.
Der viel zu spät kommt. Wie sind alle an die Decke gesprungen, als Minister Rösler von einer geordneten Insolvenz gesprochen hat? Anstatt ehrlich zuzugeben, dass es ein Fehler war, Griechenland in die europäische Währungsunion aufzunehmen. Es gab doch genügend Anzeichen dafür, dass damals die Wirtschaftsdaten manipuliert worden sind. Wie das geht, habe ich als Student in Portugal erlebt, wo ich Arbeitsmarktstatistiken prüfen sollte. Die Zahlen sind dort zurechtgerüttelt worden wie Sand in der Saunauhr.
Und über allem schwebt nun der Rettungsschirm, dessen Billion den Steuerzahler nur virtuell betrifft. Als Bürgschaft.
Das verharmlost die Wirklichkeit. Jeder Ökonom kennt den Spruch: Den Bürgen würgen. Wenn man sich Griechenland und Portugal anschaut, darf man erhebliche Zweifel haben, ob diese Länder je in der Lage sind, ihre Schulden zurückzuzahlen. Es ist eine uralte ökonomische Weisheit, dass Staaten Probleme haben, wenn sie im Lohn- und Preiswettbewerb in einer Währungsunion nicht mithalten können. Früher haben sie das über variable Wechselkurse, über abgewertete Währungen geregelt, um wieder in Tritt zu kommen. Bei einer Festkursvereinbarung, wie sie der Euro darstellt, geht das nicht. Ganz abgesehen von dem sozialen Sprengstoff, der darin angelegt ist. Zu sagen, jetzt müssen die Griechen eben ihren öffentlichen Sektor abbauen, ist einfach. Davon sind ganz konkrete Menschen betroffen.
Haben Sie eine andere Idee?
Im Grunde hat man es so weit kommen lassen, dass man zu diesem Weg verdammt ist. Ich sehe auch keine Alternative. Aber wenn es schon so ist, dann gibt es drei Bedingungen: Erstens muss dem Bürger gesagt werden, dass die Bürgschaften mit hoher Wahrscheinlichkeit fällig werden. Zweitens muss der Rettungsschirm dazu genutzt werden, dass in diesen Ländern wirkliche Veränderungen stattfinden, die allen dienen. Drittens muss das Bankenwesen in Europa grundlegend neu gestaltet werden.
Letzteres klingt nachgerade revolutionär.
Ist es aber nicht, nur überfällig. Um bei dem Nächstliegenden anzufangen: Wir wissen seit zehn Jahren, dass wir overbanked sind. Also runter mit der Zahl der Banken. Reichen mir als Kunde neun oder brauche ich dringend zwölf Kreditinstitute? Was wir wirklich brauchen, ist ein Aufsichtsrat, der seinen Namen verdient, und eine Bankenaufsicht, die hart durchgreifen kann. Und dann brauchen wir die Politik, die dafür die gesetzlichen Regelungen schafft. Mir fielen dazu spontan zehn Experten ein, die eine solche Verfassung schreiben könnten, wie die Väter des Grundgesetzes nach dem Krieg.
Wer soll's sein?
Namen nenne ich keine, aber es müssten honorige Persönlichkeiten sein, die eine Wertedebatte führen können und das Geschäft durchschauen. „Make love, not money“, die Losung von Occupy reicht ebenso wenig wie der Kartoffelacker. „Make good banking“ gehört zwingend dazu. Dann können die Leute Liebe machen, drei Kinder zeugen und sicher sein, dass sie sie ernähren können.