: Die Seele im Glas
RAUSCH Herbst bedeutet Weinlese. Aber was bedeutet Wein? Kulturgut, Suchtmittel, Enzyme, Religion, Düfte, Aromen und, ach, so viel mehr
■ Die Prinzipien: Schokolade schmeckt sehr gut zum Wein, wenn man ein paar Grundregeln kennt und bestimmte Kombinationen vermeidet: Süßer Wein passt perfekt zu süßer Schokolade. Bitterschokolade und süßer Wein harmonieren auch. Säurebetonten Wein und Schokolade mit vielen Bitternoten sollte man dagegen nicht zusammen essen, die Kombination schmeckt eher unangenehm. Ebenfalls getrennt voneinander genießen sollte man tanninhaltigen Rotwein und Bitterschokolade.
■ Die Kombinationen: Schaumwein und Schokolade korrespondieren bestens, wenn der Sekt halbtrocken, die Schokolade etwas cremig und mittelsüß ist, zum Beispiel mit Creme-Karamell-Geschmack. Trockener Rotwein und dunkle Schokolade mit 70-prozentigem Kakaogehalt funktionieren auch zusammen – Voraussetzung ist, dass die Schokolade nicht zu bitter und nicht zu süß ist und der Rotwein gehaltvoll, sanft, rund und gereift, wie zum Beispiel bei einem 2003er spanischen Reserva oder Gran Reserva.
VON TILL EHRLICH
Jetzt ist die Zeit, in der man gärenden Wein trinken muss. Möglichst viel davon, das hebt die Stimmung.
Eigentlich ist es noch kein Wein, sondern Traubensaft, der von Milliarden winziger Hefen in Wein verwandelt wird. Am Anfang schmeckt er sehr süß, und wenn man die Flasche einige Zeit im Warmen stehen lässt, kann man die Transformation von Most zu Wein miterleben. Die Süße schwindet fast stündlich und verwandelt sich in einen starken, fast harten, herben Geschmack. Das, was der urbane Mensch als „Federweißen“ kennt, ist etwas, das speziell für Stadtmenschen erzeugt, oft en gros in Supermärkten verhökert wird und meist viel zu stark geschwefelt ist, sodass er nicht mehr richtig ins Gären und Schäumen kommt.
Beim Winzer gibt’s den besten gärenden Wein, der freilich nichts mit dem gemeinen Federweißen zu tun hat. Doch gute Winzer geben keinen gärenden Most her, weil sie richtigen Wein daraus machen. Man kann bei einem ambitionierten Winzer nicht mit einem Plastikkanister ankommen, um ihn sich füllen zu lassen.
Wenn man ihn aber persönlich kennt, nimmt er einen vielleicht mit in den Keller zu den glucksenden, gärenden Fässern und Tanks und probiert mit vorsichtigen Schlucken. Man bekommt eine Ahnung davon, wie viel differenzierter ein gereifter Wein ist. Dem jungen, gerade fertig gegorenen Wein haftet das Rohe noch an, er ist eher Obst als Wein und erst die anschließende mehrmonatige Nachreifung gibt ihm eine komplexere Struktur, in der sich sein Geschmack und die berauschenden Düfte entwickeln können.
Auch in dieser Phase seines Werdens, wenn er in Fässern reift, ist es spannend, ihn zu kosten. Die Zeit ist dabei der wesentliche Faktor, sie macht den Wein. Je länger er reift, desto mehr kann man aus ihm herausschmecken. Am besten ist er, kurz bevor er in Flaschen abgefüllt wird. Wenn er noch nicht geschwefelt und gefiltert wurde. Dann schmeckt ein guter Wein ganz wunderbar, klar, frisch, oft feingliedrig und aromatisch.
Früher wurden die Weine fassweise verkauft, dann in speziellen Kellern gelagert und allmählich ausgetrunken. Seit Weine in Flaschen vermarktet werden, müssen sie für die Strapazen des Transportes und Lagerns biochemisch stabilisiert werden, weswegen die meisten Weine vor ihrer Abfüllung filtriert, geschönt und geschwefelt werden. So ein Wein ist dann ziemlich durcheinander, er ist „füllkrank“ und braucht mehrere Wochen, manchmal Monate, ehe er wieder zu sich kommt und annähernd so gut schmeckt wie zuvor im Fass.
Es ist sinnvoll, sich diese Transformation des Weins aus dem Geist des Obstes zu vergegenwärtigen, um zu verstehen, was Wein eigentlich ist – ein landwirtschaftliches Produkt, das durch Nachreifung veredelt wird: Wenn man eine Flasche entkorkt, die Nase ins Glas steckt und endlich der erste Tropfen auf die Zunge rollt, begegnet einem eine Welt, die man erleben will. Das Schöne am Wein ist, dass er, anders als Schnaps oder Likör, einen relativ kleinen Anteil Alkohol von etwa elf bis dreizehn Prozent enthält.
Entscheidend sind hier Balancen und ihr Verhältnis zu den anderen Komponenten des Weins. Die Stimmigkeit der Verhältnisse ist seine Seele. Findet sich im Wein zu viel Alkohol, macht es weniger Freude, ihn zu trinken, man hat das Gefühl, der Alkohol krieche einem ins Hirn, lege den Körper mit bleierner Schwere lahm. Hat der Wein zu wenig Alkohol, erinnert er zu sehr an seine Kindheit, den Traubensaft.
Beim Alkohol stellt sich die Frage: Warum verbindet sich mit dem Wein die Wertschätzung, die weder Bier noch andere alkoholische Getränke erreicht haben? Wein war zunächst ein Getränk, das den Lebenssaft und die Fruchtbarkeit symbolisierte. Man wollte im Rausch dem Göttlichen oder einem Höheren begegnen. Dabei ging es nicht um den Genuss des Rausches als Selbstzweck, er war das Medium, das die Erfahrung des Höheren vermittelte. Das Christentum hat das verfeinert: „Wer einen guten Wein trinkt, der sieht Gott.“ Kurz: wenn ihr ins Paradies wollt, müsst ihr diese Erfahrung kennen. Dazu muss der Wein gut sein, nicht ordinär oder gepanscht.
Was nun folgte, war der Versuch, den dumpfen Rausch der Droge zu sublimieren, indem Kultur in das Getränk gebracht wurde. Das begann bei den Pflanzen, die gezüchtet wurden, ging weiter beim Ausbau des Weins im Keller, der im Wortsinne gepflegt und umsorgt wurde, bis zur Mäßigung beim Trinken. Der Wein wurde nicht allein getrunken, sondern in Gemeinschaft, er war in die Tafelkultur eingebunden, wurde zum Essen aus kostbaren Gläsern gereicht. Nicht aus Dekadenz oder Protzerei, sondern weil guter Wein selbst als kostbar angesehen wurde.
Interessant ist, dass das Christentum den Wein außerhalb der Liturgie nicht verboten oder stark ritualisiert hat, sondern beim Weingenuss vom inneren Maß sprach, das bei jedem verschieden ist und wohl jenen Punkt meint, an dem die Balance kippt.
Der Weinkeller ein OP-Saal
In der säkularen Kultur wurde das weitergeführt, sodass selbst heute, wo der Wein im Lifestyle und Hedonismus angekommen ist, es ein ungeschriebenes Gesetz ist, dass man Aromen und Geschmack eines Weins nur erfahren kann, wenn die Schwelle vom leichten zum schweren Rausch nicht überschritten wird. Denn dann ist der Geschmack egal, dann geht es um die Heftigkeit der Droge, dazu braucht es keinen Wein, dazu gibt es billigere und schneller wirkende Rauschmittel.
Paradox ist, dass die gesamte Weinwirtschaft heute noch vom sakralen Bezug zu Rausch und Sublimierung lebt. Sie profitiert von der kulturellen Wertschätzung des Weins, die ihn von industriellen alkoholischen Getränken abhebt.
Der wunderbaren Bejahung des Rausches, die im Weintrinken aufgehoben ist, wird heute mit Getränketechnologie immer mehr der Geist ausgetrieben. Zwar gibt es noch zahlreiche Winzer, die echte Weine herstellen. Doch den Mainstream beherrschen zunehmend die Technologen. Sie wollen die mehrwertigen, biochemischen Reifeprozesse kontrollieren und steuern. Dabei wird der Wein selbst technologisch und reproduzierbar. So erlangt man auch die totale Kontrolle über die Dynamik wilder Hefen und widerspenstiger Mikroben. Sie haben bei der Gärung einst dafür gesorgt, dass der Wein mehr Komplexität und Eigenheit entwickeln konnte.
Ohne Technik und menschliche Interventionen kann man keinen Wein herstellen, weil in der Natur gärender Most sofort zu Essig wird. Entscheidend ist aber, ob die Technologie dabei eine dienende Rolle hat oder zum Selbstzweck wird. In modernen Kellereien geht es klinisch steril wie im OP-Saal zu, sie haben nichts mehr von dem Weinkeller mit seinen dunklen Kellerpilzen an den Wänden.
Auch die Weine haben sich verändert. In den vergangenen fünfzehn Jahren mussten die Weine mehr Alkohol haben, was sie süß machte, sie im Mund fülliger wirken ließ und ihre Fruchtaromatik betonte. Heute geht es hingegen darum, dem Wein Alkohol zu entziehen oder ihn mit speziellen Reinzuchthefen und Enzymen zu lenken. So ein nivellierter, standardisierter Wein entspricht natürlich dem Zeitgeist. Doch ist er noch ein Wein?
Wenn der Wein zu einem Industrieprodukt wird, so lautet die kurze, schlichte Antwort, kann man ihn nicht mehr als Kulturgut verteidigen.