: Für eine Handvoll Onlinedollar
REAL LIFE Virtuelle Schlägertruppen, tatsächliche Ausbeutung: Cory Doctorow beschreibt in „For the Win“, wie Computerspieler nicht nur ihre Spielwelten retten, sondern die reale Welt noch gleich mit
Computerspieler sind Helden. Sie retten Königskinder, deren Reiche und die Seelen der Untertanen. Computerspieler sind aber auch Verdächtige. Ihre Geschichten füllen vertraut gewordene Plätze in den Nachrichten nach Schulmassakern und Amokläufen. Der eine Kosmos berührt den anderen scheinbar nicht, beide funktionieren nach ihren eigenen Gesetzen als parallele Universen. Doch was, wenn nun die eine in die andere stürzte?
In Cory Doctorows neuem Roman „For the Win“ retten Computerspieler nicht nur ihre Welten, sondern auch unsere. Mit Schwertern, Gewerkschaftsarbeit und Finanzspekulationen.
Im chinesischen Shenzhen arbeitet Matthew Fong als Goldfarmer. Er kämpft sich durch die gefährlichen Gebiete des Onlinerollenspiels „Svartalfheim Warriors“, sammelt das Gold und die Gegenstände ein, welche getötete Gegner fallen lassen, und verkauft seine Beute auf dem Schwarzmarkt an andere Spieler weiter. Das sind Dänen, Deutsche oder US-Amerikaner, die einen gut ausgestatteten Spielcharakter besitzen möchten, aber nicht die Zeit oder die Lust haben, dafür tagelang vor dem Computer zu sitzen. Deshalb kaufen sie sich Spielgold und besonders mächtige Gegenstände, die in „Warriors“ nur selten vorkommen, für reales Geld. Matthew hat ein Talent für seinen Job und farmt in einer Stunde 13.200 virtuelle Goldstücke, das sind 30 Dollar oder nach seiner Rechnung 71 Portionen Teigtaschen auf den Straßen von Shenzhen. Er träumt davon, reich zu werden, Boss Fong, aber stattdessen treten Männer seine Tür ein, zertrümmern seine Computer und schlagen ihn zusammen.
Matthews alter Boss, für den er bisher Gold gefarmt hat, mag keine Konkurrenten. Er will, dass Matthew wieder zurückkommt in eines seiner Internetcafés, die vielmehr Spielfabriken sind. Hier plündern junge Männer für ihn in Acht-, Zehn- oder Zwölfstundenschichten Onlinewelten, zu zwanzigst teilen sie sich einen Schlafsaal. Und da sind andere wie Matthew – Mala zum Beispiel, die in einem indischen Slum lebt. Auch sie hat einen Boss und der sagt ihr, welche anderen Spielercharaktere sie angreifen und vernichten soll. Das sind Goldfarmer, die so an ihrer Arbeit gehindert werden; ein anderer Weg, Wettbewerber auszuschalten. Mala gehört zu einer virtuellen Schlägertruppe.
Diese Malas und Matthews existieren tatsächlich, hauptsächlich in Asien, wo der technische Fortschritt den Rechten der Arbeiter längst enteilt ist. Hier wird die Zeit der Armen gegen das Geld der Reichen getauscht, und was als Spiel begann, ist vielerorts zu einer neuen Form der Kinderarbeit pervertiert.
Bisher nimmt davon allenfalls die spezialisierte Öffentlichkeit der Computerzeitschriften Kenntnis. Dort herrscht gerade große Aufregung, weil der große Spielehersteller Blizzard den virtuellen Goldhandel für das lang erwartete Spiel „Diablo III“ legalisieren will. Damit, so der Vorwurf, unterstütze Blizzard die Goldfarmermafia.
Cory Doctorow erzählt, wie die Kinder und Jugendlichen im Dienste dieser Mafia versuchen, sich im Internet zu organisieren und zuerst nur gegen ihre Ausbeutung, dann aber auch gegen die in anderen Industrien zu kämpfen. Wie sie in der realen Welt streiken und die virtuellen Welten besetzen. Wie sie versuchen, mit Spekulationsgeschäften auf Spielgold die Onlinereiche in ihre Hand zu bringen, um die Spielebetreiber unter Druck zu setzen. Ein bisschen Abenteuergeschichte, ein wenig Liebe gibt es obendrauf. Wie oft bei Doctorow ist der Stil wenig aufregend, es ist das Thema, das fesselt. Doctorow, lange aktiv in der digitalen Bürgerrechtsbewegung und außerdem ein bekannter Blogger, schafft es immer wieder zu zeigen, dass das, was oft als reale und virtuelle Welt zu trennen versucht wird, tatsächlich eine Welt ist. DANIEL SCHULZ
■ Cory Doctorow: „For the Win“. Aus dem Amerikanischen von Oliver Palaschka. Heyne, München 2011, 640 S., 16,99 Euro