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Archiv-Artikel

Kampf der Silbenverklumpung

BÜHNE So viel Identifikation mit dem Abstrakten ist selten: Herbert Fritsch inszeniert die konkrete Poesie des Wieners Konrad Bayer mit „der die mann“ an der Volksbühne Berlin

Fritschs Inszenierung kommt sehr verspielt daher. Diese Leichtigkeit, die Ergebnis einer großen Präzision ist, täuscht fast darüber hinweg, dass darin viele ästhetische und philosophische Fragen aufleuchten

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Die Handlung schwingt, aber wie. Bei der Silbe „Hand-„ pendelt die Schauspielerin am Vertikalseil noch in der linken Ecke der Bühne, bei „-lung“ ist sie schon in hohem Bogen über die ganze Distanz des weiten Bühnenportals geflogen und kommt rechts nieder. So viel Raum ist selten in zwei Silben. Und die Handlung selten so schnell vorbeigeflogen.

Worte werden Körper, werden Musik, werden Raum. Wenn die Schauspieler in Herbert Fritschs Inszenierung von „der die mann“ nach den hochartistischen Sprachkunstwerken von Konrad Bayer sich auf ihrer kleinen Showtreppe zum Chor aufstellen, der allein aus „a“ und „o“ eine minimalistische Polyfonie entwickelt, dann scheint ihr ganzes organisches Innenleben nur dazu bestimmt, diese zwei Laute zu produzieren. Als romantisches Lied, als Oper mit Rezitativ und Arie, als Operette und Swing werden Bayers Silbenverkettungen gebracht, und es überrascht jedes Mal aufs Neue, wie viel Sinn und Bedeutung durch die dramatische Paraphrasierung unvermutet in diesem Sprachmaterial zum Vorschein kommt, das im Schriftbild auf dem Papier wie eine sinnfreie Anhäufung wirkt.

Als Manuskript betrachtet, wirken manche der Texte Bayers, die an diesem Volksbühnenabend zur Aufführung kommen, zunächst verblüffend grafisch: schmale Textsäulen wiederholter Worte, wie „ein und“. Allein, wie viele Bedeutungswechsel diese schlichten Wörtchen in der Aufführung erfahren, wie sie genutzt werden, das ganze schauspielerische Vokabular der Erzeugung von Spannung zwischen „und“ und „ein“ auszubreiten, ist ein großes Vergnügen.

Andere Texte unter der Überschrift „Signal“ bilden im Schriftbild erschreckende Silbenverklumpungen, von denen „stundehnendlostwindstill“ die kürzeste ist, andere reichen über 60 Zeilen. Liest man das, kann man sich nicht vorstellen, wie dieses Gewirr bedeutungstragender Einheiten überhaupt reproduzierbar sein soll. So ist der erste Impuls das Staunen über die Leistung der Schauspieler, diesen Sprachmatsch pantomimisch und gestenreich mit Anspielungen zu füllen. Da hat jemand was Aufregendes erzählt, aber kein Schwein kann es wiederholen.

Seit „Murmel Murmel“ nach einem Text von Dieter Roth weiß man, dass Herbert Fritsch sehr viel aus abstrakten Sprachkunstwerken herausholen kann. Konrad Bayer (1932–1964) gehörte in der frühen Nachkriegszeit in Wien zu einer sprachkritischen und experimentierfreudigen Gruppe von Dichtern. Ernst Jandl, Gerhard Rühm, Hans Carl Artmann wurden bekannter als Bayer, der sich 1964 umgebracht hat. In den ausgewählten Texten findet man auf die Spitze getriebene gesellschaftliche Rituale, wie das Händeschütteln in einer repräsentativen Gesellschaft, die mit Einfachheit und Reduktion einem Popanz von Bedeutungsbehauptung die Luft ablassen.

Oder auch ein Stück, „karl ein karl“, das fast eine historische Erzählung zu sein scheint, wäre nicht jedes Subjekt und jedes Objekt durch „karl“ ersetzt. Das wirkt heute wie ein ästhetischer Vorgriff auf das postdramatische Theater und seine Dekonstruktion des Identitären, einerseits; wird aber mit der Lust, die Fritsch eben gerade auch an den Darstellungsformen der Repräsentation hegt, zu einem Paradestück des Widerspruchs. Man kann schon sagen, so viel Identifikation mit dem Abstrakten ist höchst selten zu bewundern.

Im Westberlin der frühen achtziger Jahre wurde schon einmal ein Künstlerkollektiv mit solch einer anschaulichen Übersetzung von Dada-Lyrik und konkreter Poesie bekannt. Damals war es die Tanzfabrik, in der die Choreografin Jacalyn Carley mit Tänzern und Schauspielern nach Texten von Kurt Schwitters und Gertrude Stein arbeitete, ihre Musikalität ausbreitete und ihren Witz. Das ist lange her. Es tut nun gut, Ähnliches vor einem Publikum, das glücklicherweise teilweise auch jünger ist, auf großer Bühne zu erleben.

Fritschs Inszenierung kommt wieder sehr leicht und verspielt daher; die glänzenden Kostüme, etwas Slapstick, den fast leeren Bühnenraum in leuchtenden Grundfarben kennt man schon aus früheren Stücken. Diese Leichtigkeit, die Ergebnis einer großen Präzision ist, täuscht fast darüber hinweg, dass in den ausgewählten Texten viele ästhetische und philosophische Fragen aufleuchten, wie sie etwa auch Pollesch seit Jahren bearbeitet. Mit schöner Lust am Paradox sind beide gesegnet.