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Archiv-Artikel

Wenn der Saft abgedreht wird

Strom wird immer teurer. Eon Avacon und Eon Hanse gewähren armen Menschen einen ermäßigten Stromtarif. Kritiker nennen die Summe allerdings lächerlich. Sie kompensiere nicht einmal die Preiserhöhung der vergangenen Monate

VON JOACHIM GÖRES

Strom ist zu billig – mit dieser Aussage hat Eon-Chef Wulf Bernotat kürzlich für Aufregung gesorgt. In der Realität ist Strom wegen der ständig steigenden Preise für immer mehr Menschen zu teuer. Sie können ihre Energierechnung nicht bezahlen und sitzen plötzlich in einer kalten Wohnung. Das weiß auch Deutschlands größter Energiekonzern Eon. Die Regionalversorger Eon Avacon und Eon Hanse haben angekündigt, armen Menschen ab Januar einen Rabatt einzuräumen. 54,16 Euro in Niedersachsen und 65,18 Euro in Sachsen-Anhalt sparen Stromkunden bei Avacon so im Jahr, bei Eon Hanse gilt in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern eine Ermäßigung auf die Jahresrechnung für Erdgas oder Strom von 85,68 Euro. Voraussetzung ist die Befreiung von der Rundfunkgebühr.

Beim 1,1 Millionen Kunden zählenden Konzern Eon Avacon sind bislang 100 Anträge für den Sozialtarif eingegangen, Eon Hanse mit seinen 1,3 Millionen Kunden zählt derzeit 200 Anträge. Der Bund der Energieverbraucher (BdE) sieht das Modell kritisch. „An sich ist ein Sozialtarif positiv, doch die jährliche Ersparnis ist lächerlich. Das ist bedeutend weniger als die Strompreiserhöhungen der letzten Zeit“, sagt BdE-Vorsitzender Aribert Peters. Er verweist auf eine EU-Richtlinie, wonach Energieverbraucher ausreichend geschützt werden müssen. So können sozial Bedürftige in Belgien eine Grundmenge Strom und Gas kostenlos beziehen. In Frankreich darf der Strom nicht abgedreht werden, solange nicht über einen Antrag auf finanzielle Unterstützung entschieden ist. „Deutschland hat die EU-Richtlinie nicht ausreichend umgesetzt. Dagegen haben wir bei der EU-Kommission Beschwerde eingelegt“, sagt Peters.

Eon Avacon arbeitet beim Sozialtarif mit der Caritas und der Diakonie eng zusammen. Ihre Sozialarbeiter helfen beim Ausfüllen der Anträge und können auch notleidende Menschen ohne GEZ-Befreiung empfehlen. Entscheiden tut Avacon. Laut Marlies Winkler, Projektleiterin beim Diakonischen Werk Hannover, sei nicht nur der ermäßigte Stromtarif ausschlaggebend für die Kooperation gewesen. „Seit der Einführung von Hartz IV haben unsere Berater immer häufiger mit Klienten zu tun, die ihre Energierechnung nicht bezahlen können. Wir wollen in Gesprächen mit Avacon erreichen, dass sie künftig bei Schulden nicht nach einem starren Schema entscheiden, sondern in jedem Einzelfall eine Lösung anstreben, ohne dass es zu Stromsperrungen kommt.“

Nach der seit 2006 geltenden Grundversorgungsverordnung darf eine Stromsperre erst dann vollzogen werden, wenn nach der Androhung vier Wochen vom säumigen Kunden ungenutzt verstrichen sind. Zudem müssen die Energieschulden mindestens 100 Euro betragen.

Die Stromversorgung Osthannover (SVO), ein Avacon-Tochterunternehmen, sperrt rund 1.500-mal im Jahr die Energie, um Schulden einzutreiben. „Über 90 Prozent zahlen nach der Absperrung innerhalb von einer Woche und werden dann wieder von uns beliefert“, sagt Ralf Horst, Pressesprecher der SVO.

„Die Leute wollen ja zahlen, können es aber nicht. Es muss berücksichtigt werden, ob Kinder oder kranke Menschen in der Wohnung leben. Das passiert derzeit nicht“, sagt Horst-Peter Ludwigs, Sprecher der Landesarmutskonferenz Niedersachsen. So saß kürzlich eine im fünften Monat schwangere Frau mit ihrem dreijährigen Sohn länger als eine Woche abends im Dunkeln, weil sie bei der SVO Schulden hatte. Erst vor dem Sozialgericht konnte sie monatliche Ratenzahlungen in Höhe von 100 Euro durchsetzen, die die SVO zuvor als nicht ausreichend abgelehnt hatte.

Ludwigs Hauptkritik richtet sich gegen die zuständigen Behörden, die sich meist weigerten, bei ALG II-Empfängern sämtliche Heizkosten zu übernehmen. Genau das verlange aber das Landessozialgericht Niedersachsen- Bremen. Es hält die Übernahme der kompletten Heizkosten für angemessen, wenn es nicht „konkrete Anhaltspunkte für ein unwirtschaftliches und damit unangemessenes Heizverhalten“ gebe.

Ludwigs rät, bei drohender Stromsperrung vor dem Amtsgericht eine einstweilige Verfügung zu beantragen, um die Sperre abzuwenden. Zudem sollte bei Zahlungsrückständen die Sozialberatung von Organisationen wie Diakonisches Werk, Caritas, AWO oder DRK in Anspruch genommen werden, um zu klären, ob Zuschüsse nach dem Sozialgesetzbuch beantragt werden können.