: „Ein zaghafter Beginn“
VORTRAG Philosoph Hans-Joachim Lenger spricht über das Teilen – und die „kommende Demokratie“
■ 63, ist Philosophie-Professor an der Hochschule für bildende Künste und studierte Literaturwissenschaften.
taz: Herr Lenger, warum ist Teilen herrlich?
Hans-Joachim Lenger: Ökonomie beziehungsweise Oikonomia ist zunächst einmal ein theologischer Begriff, der die Schöpfung, also die Weltwerdung Gottes betrifft. Nun ist Gott natürlich Inbegriff aller Herrlichkeit – und sie durchstrahlt auch seine Ökonomie. Das prägt, was wir unter Ökonomie verstehen, auch wenn wir die theologischen Anklänge darin heute kaum noch mithören.
Inwiefern?
Der Kapitalismus, so Walter Benjamin, ist selbst eine Religion. Und wenn man das Thema der Herrlichkeit zusammenführt mit der Souveränität oder Omnipotenz Gottes und das auf die profane Ökonomie bezieht, dann wird eine Art Glaubensdiktatur der Ökonomie erkennbar. Sie will alle Bereiche der Gesellschaft unter sich begreifen. Allerdings steht nicht zu erwarten, dass diese Diktatur letzthin erfolgreich sein wird.
Was macht sie da so optimistisch?
Der Griff der Finanzmärkte auf das gesellschaftliche Leben in vielen Teilen der Welt erzeugt nicht Geschlossenheit, sondern lässt die Welt immer zerrissener werden. In dem, was dem Griff dieser Mächte entgeht, zeichnet sich die dringenden Notwendigkeit eines anderen Denkens ab – auch eines politischen.
Was zeichnet diese Demokratie aus?
Sie würde nicht mehr dem Diktat der Alternativlosigkeit gehorchen. Und sie kündigt sich ja schon an, sie zeigt sich. Denn sie ist unabweisbar, wenn die katastrophalen Ereignisse in der Welt nicht weiter um sich greifen sollen.
An welche Katastrophen denken Sie?
Die Tageszeitungen sind voll davon. Der Krieg wurde in Europa wieder zu einer realen Größe. Der implizite Kollaps der neoliberalen Finanzökonomien führt heute zu einer Verelendung auch in Europa. Das sind Phänomene, die wir sonst nur aus der „dritten Welt“ kannten.
Und wo sehen sie konkret die Anzeichen für diese neue Demokratie?
Der Zerfall der herrschenden Ordnungen ist unübersehbar, deshalb ihre Eskalation der Gewalt. Doch jeder Zerfall setzt Fragmente frei, die sich anders konstellieren lassen. Vielleicht ist Griechenland da ja nur ein zaghafter Beginn. Zu hoffen wäre es. Schon einmal, so hörten wir ja zur Genüge, ging von Griechenland die Demokratie aus.
INTERVIEW: DKU
19 Uhr, HFBK, Lerchenfeld 2, Raum 229,