: Kleinkind stirbt an Masern
KRANKHEIT Der Tod eines an Masern erkrankten Jungen und die vorsorgliche Schließung einer Tempelhofer Schule heizen die Debatte über eine gesetzliche Impfpflicht an. Gesundheitssenator Mario Czaja ruft zum Impfen auf
■ Mit fast 600 gemeldeten Masernfällen ist der derzeitige Ausbruch der größte in Berlin seit Einführung der Meldepflicht 2001. In Brandenburg sind in diesem Jahr bislang 46 Masernfälle gemeldet worden.
■ In Berlin mussten ungeimpfte Lehrkräfte seit Ausbruch der Krankheit nach Angaben der Bildungsverwaltung aus dem Dienst genommen werden.
■ Angesichts der Masernwelle sollten Eltern sowohl den eigenen Impfstatus als auch den ihrer Kinder bei einem Arzt überprüfen lassen. Für den vollständigen Schutz sind zwei Impfungen notwendig.
■ Die Ständige Impfkomission des Robert-Koch-Instituts (RKI) empfiehlt, alle Kleinkinder ab dem Alter von elf Monaten (erste Impfung) und ein zweites Mal ab dem Alter von 15 Monaten impfen zu lassen. Impfschäden treten laut RKI-Experten nur sehr selten auf.
VON FANNY LÜSKOW
Der seit Oktober grassierende Masernausbruch setzt sich fort –und hat ein Kleinkind sein Leben gekostet. Wie Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) am Montag vor Tagungsbeginn des Gesundheitsausschusses im Abgeordnetenhaus mitteilte, ist am vergangenen Mittwoch ein anderthalbjähriger Junge in einem Reinickendorfer Krankenhaus an der hoch infektiösen Krankheit gestorben. Der Ansteckungsweg sowie Wohnort des Jungen sind unklar; es handle sich Czaja zufolge um eine „anonymisierte Meldung“.
Zudem blieb die Carl-Zeiss-Oberschule in Lichtenrade am Montag wegen eines schwerwiegenden Masernverlaufs eines Jugendlichen geschlossen, so eine Sprecherin der Bildungsverwaltung. Das Gesundheitsamt Tempelhof-Schöneberg habe laut Czaja keine Empfehlung zur Schließung gegeben. Stattdessen habe „der Schulleiter am Freitag von dem Krankheitsfall erfahren und dann auf eigenes Ermessen hin gehandelt“, so Czaja. Mitschüler und Lehrer des Jugendlichen müssen nun Impfbücher vorlegen. Wer nicht geimpft ist, muss bis zum 27. Februar zu Hause bleiben.
Die eigenverantwortliche Entscheidung des Direktors rechtfertigt Beate Stoffers, Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Bildung, so: „Weil sich der Direktor in Hinblick auf die Inkubationszeit unsicher war, hat er aufgrund seiner Gesamtverantwortung für Schüler und Personal vorsorglich eine vorübergehende Schließung der Schule veranlasst.“ Heute soll die Schule, die mit 1.025 Schülern eine der größten allgemein bildenden Schulen Berlins ist, wieder öffnen.
Seit Beginn der Masernepidemie im Oktober 2014 wurden dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) 574 Masernfälle gemeldet, allein im Jahr 2015 sind 453 Menschen erkrankt. Hauptbetroffene sind laut Lageso nach 1970 geborene Erwachsene, bei denen bekanntermaßen noch große Impflücken bestehen. Die Impfquoten von Kindern hingegen lägen höher und seien in den letzten Jahren gestiegen. Laut Ergebnissen von Schuleingangsuntersuchungen, so das Robert-Koch-Institut (RKI), lag bei den Erstklässlern die Impfquote der ersten Masern-Mumps-Röteln-Impfung 2012 bei 95,9 Prozent und die der zweiten Impfung bei 90,9 Prozent. Damit liegen die Berliner Quoten leicht unter dem bundesweiten Durchschnitt und der zur Masern-Elimination erforderlichen 95-Prozent-Grenze.
Anlässlich der aktuellen Vorkommnisse rief Czaja dazu auf, sich schnellstmöglich impfen zu lassen. Als Befürworter der Impfpflicht empfinde er die „Fülle an Impfgegnern“ als kontraproduktiv. Dass fast 90 Prozent der befragten Erkrankten angeben, nicht vollständig gegen Masern geimpft zu sein und Deutschland laut Selbstverpflichtung bis 2015 eigentlich masernfrei sein wollte, heizt die Debatte über eine gesetzliche Impfpflicht an.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) reagierte auf die Forderungen der Gesundheitspolitiker Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) nach einer Impfpflicht zurückhaltend. Stattdessen setze man zunächst auf Impfberatungen vor dem Kita-Eintritt und im Rahmen von Gesundheitsuntersuchungen, so eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums am Montag. Erst wenn diese Maßnahmen nicht greifen, müsse über verbindliche Regelungen gesprochen werden. Vertreter der Grünen hingegen lehnen eine Impfpflicht prinzipiell ab.
Gesellschaft+Kultur SEITE 14