Algen als Klimaretter

Die europaweit erste Anlage könnte das Verheizen fossiler Brennstoffe klimaneutral machen. Als Zukunftsvision zeichnet sich ein CO2-freier Heizkreislauf ab. Flächenbedarf problematisch

VON GERNOT KNÖDLER

Mikroalgen könnten einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. In Hamburg-Reitbrook ist gestern mit dem Bau einer Pilotanlage begonnen worden, in der die Einzeller das Kohlendioxid (CO2) aus den Abgasen eines Heizkraftwerks der Firma Eon fressen. Es handelt sich um den ersten großtechnischen Versuch dieser Art in Europa. Der Hamburger CDU-Senat fördert es im Rahmen seines Klimaschutzkonzepts mit 500.000 Euro.

In vielen Orten Norddeutschlands sind derzeit neue Steinkohlekraftwerke in Planung. Überall werden sie scharf kritisiert, weil Kohlekraftwerke besonders viel des klimaschädlichen Gases CO2 ausstoßen. Der Energiekonzern Vattenfall will dieses Problem lösen, indem er das Kohlendioxid aus dem Rauchgas abtrennt und in ausgebeutete Gaskavernen pumpt. Ob sich das Klimagas dort auf Dauer festhalten lässt, ist umstritten. Die Abscheidung verringert außerdem die Effizienz der Kraftwerke.

Mit dem Praxisversuch in Hamburg wird jetzt eine faszinierende Alternative getestet. Die Abgase sollen durch eine lange Reihe transparenter Bioreaktoren – im Prinzip Plastikflaschen mit Mikroalgen darin – geleitet werden. Mit dem Kohlendioxid und dem Stickstoff im Abgas und zusätzlichen Nährstoffen vermehren sich per Photosynthese die Algen. Diese Biomasse kann regelmäßig abgeschöpft und verwertet werden.

Die Mikroalgen sind einerseits ungeheuer produktiv: Sie wachsen sehr viel schneller als Landpflanzen und können entsprechend mehr CO2 binden. Andererseits bilden sie einen vielfach verwendbaren Rohstoff. Sie sind eiweißreicher als Soja-Bohnen. Ihre Inhaltsstoffe werden schon heute in Duschgels und Pflegecremes verwendet. Und sie lassen sich wieder verheizen. „Der Brennwert der Algenbiomasse entspricht dem der Steinkohle“, behauptet Martin Kerner, der Leiter des Forschungskonsortiums Term (Technologie zur Erschließung der Ressource Mikroalge), das die Anlage plant und ausprobieren wird.

Werde aus den Algen wieder Energie gewonnen, lasse sich die Effizienz eines Kohlekraftwerks von 45 auf 95 Prozent steigern. Denkbar sei sogar ein geschlossener CO2-freier Kreislauf, wenn von vornherein regenerativ erzeugter Brennstoff, also Biomasse eingesetzt wird. Auch diesem Zweck dient das Forschungsprojekt. „Wir wollen eine Technik entwickeln, mit der im großen Maßstab Mikroalgen produziert werden kann“, sagt Kerner.

Dafür ist allerdings viel Platz nötig. Um ein mit 1.600 Megawatt Leistung sehr großes Kohlekraftwerk wie das in Hamburg geplante zu 80 Prozent CO2-frei zu machen, wäre eine Reaktorfläche von 200 Quadratkilometern notwendig. Dabei kostet jeder Quadratkilometer zurzeit noch zehn bis 15 Millionen Euro. Eines der Ziele des Projekts ist es daher, die Effizienz zu verdoppeln.