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Archiv-Artikel

„Hirnfick“, auf Knastdeutsch

betr.: „Marco bleibt in türkischer U-Haft“, taz vom 27. 10. 07

Ich muss mich wundern, wie über den Fall des Marco, der zurzeit in der Türkei einsitzt, berichtet wird. Wäre diese Sache hier in Deutschland passiert, würde Marco in U-Haft in einer hiesigen JVA sitzen und auf seinen Prozess warten, dann würde sich kaum einer das Maul zerreißen, wäre es höchstens eine „Kurznachricht“ in den Medien. Ich verstehe die ganze Aufregung nicht, vor allem dass man jetzt auf die böse, böse Türkei mit dem Finger zeigt und sogar eine Brücke zu einem Thema wie EU-Beitritt schlägt, was überhaupt nicht angebracht ist.

Was dort in der Türkei mit einem Marco gemacht wird, ist objektiv betrachtet in Deutschland nicht viel anders, eben Justizalltag. In Deutschland ist es normal, durchschnittlich vier bis sechs Monate in U-Haft zu verbringen, bis es zum Prozessauftakt kommt. Und das ist dann nur der Anfang des langen Weges durch die Instanzen.

Allein wenn ich meinen Fall betrachte, eine klare Drogengeschichte, die Dinge lagen auf der Hand und zu leugnen gab es nichts. Trotzdem saß ich fast 7 Monate in U-Haft. Marco wird eines Sexualdelikts beschuldigt und festgehalten, also kein Pappenstiel in meinen Augen (Fakten und Zeugen seien mal dahingestellt), aber ein Fall wie viele andere in Deutschland, nur da regt sich keiner auf.

Vielleicht sind es ja die Haftbedingungen, die so großes Aufsehen erregen? Nun, er kriegt wahrscheinlich drei Mahlzeiten am Tag, die bekomme ich auch. Er hat wahrscheinlich wie ich ein Bett, in dem er schläft. Er darf vielleicht auch einmal täglich in den Hof, das durfte ich auch, für eine Stunde. Er läuft in Privatkleidung rum – ups, das durfte ich nicht. Selbst zu meiner Verhandlung durfte ich keine eigenen Sachen tragen. Ich saß in Anstaltskleidung vor meinem Richter.

Okay, Marco muss sich sein Zimmer mit dreißig anderen teilen, auch die sanitären Anlagen. Aber aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen, egal ob ich mit dreißig Leuten oder nur zu zweit auf der Zelle bin, es ist der Umstand des Eingesperrtseins, der einem zu schaffen macht und sich auf die Psyche niederschlägt, „Hirnfick“, auf Knastdeutsch. Der Kopf schaltet nie ab, permanent die Gedanken über den Fall, die Justiz, Verhandlung, Familie, Freunde, Freiheit. Manchmal wäre ich froh gewesen, wäre ich auf einer Dreißig-Mann-Zelle, da hätte ich mich besser ablenken können.

In meinen Augen entspricht der Fall „Marco“ juristisch und auch vom zeitlichen Verlauf voll und ganz der Norm, auch der deutschen Norm. Es gibt genug andere, interessantere Fälle voller Irrtümer und Ungerechtigkeit, die viel dramatischer sind und sich vor unserer Haustür im eigenen Land abspielen. Es gibt so viele Gefangene in schönen deutschen Gefängnissen, unverständlich, dass da kein Schicksal drunter ist, das sich ebenso gut ausschlachten ließe wie das des Marco. Name ist der Redaktion bekannt, JVA Landsberg