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Archiv-Artikel

Pakistans Armee kämpft mit ihrer Moral

Erstmals hat es Pakistans Armee mit einem inneren Feind zu tun, der wie sie selbst den Islam auf seiner Fahne trägt. Weil Militärmachthaber Musharraf diese Spannung nicht lösen kann, wird er innerhalb der Armee immer verwundbarer

Immer mehr Soldaten ergeben sich kampflos den militanten Islamisten

AUS DELHI BERNARD IMHASLY

Das Dekret, mit dem Pervez Musharraf am Samstag die Verfassung außer Kraft gesetzt hat, unterzeichnete er als Armeechef. Er hätte dies auch als Präsident machen können. Dass er es nicht tat, stützt das Argument, dass er nicht nur den Ausnahmezustand, sondern in Wirklichkeit das Kriegsrecht verhängte. Die Betonung der Uniform sollte aber auch zeigen, dass die Armee hinter ihm steht. Ob sie es wirklich tut, wird sich zeigen. Zweifellos hatte sich Musharraf zuvor der Rückendeckung der Armeeführung versichert. Er wähnt sich auch deshalb sicher, weil er die Schlüsselpositionen im Militär mit Vertrauten besetzte.

Aber Pakistans Armee verwechselt militärische Disziplin nicht mit absolutem Gehorsam. Pakistan hat eine Geschichte von Putschen, aber die Armee achtete stets darauf, dass ihre Militärherrscher keine Caudillos wurden. Nach dem Verlust Ostpakistans 1971 und nach dem mysteriösem Tod von General Zia ul-Haq 16 Jahre später kehrte sie freiwillig in die Kasernen zurück. Im Fall von General Yahya Khan 1971 kam dies einer Absetzung des eigenen Befehlshabers gleich.

Entscheidend war dabei immer die Interessenwahrung der Institution als Ganzes. Dies war nie nur eine Funktion der reinen Brachialgewalt der Waffen. Pakistans Armee achtete immer darauf, ihre Legitimität als Hüterin der nationalen Integrität und Souveränität zu wahren. Als Musharraf 1999 putschte, stieß dies auf breite Anerkennung. Selbst die demokratische Öffentlichkeit sah damals in der Armee eine bessere Garantie für die Bewahrung der staatlichen Institutionen als in der korrupten Regierung von Nawaz Sharif.

Musharraf hat dies Vertrauen in den letzten Jahren verspielt. Er umgab sich mit einer Partei, die alle Korruptionsrekorde früherer demokratischer Regierungen schlägt. Er missbrauchte zudem Parlament und Justiz für seine Interessen. Dies schadete auch dem Ansehen der Armee. Schwerwiegender ist aber Musharrafs Unfähigkeit, mit der Taliban-Rebellion fertigzuwerden. Er nutzte militante Islamisten jahrelang in seinem Streben nach regionaler Macht in Afghanistan und Kaschmir und als Druckmittel gegenüber den USA. Nun haben sie dieses Spiel durchschaut und den General samt seiner Armee zum Feind des Islams erklärt.

Dies ist hart für eine Institution, deren Motto „Glaube, Frömmigkeit und Fortschreiten auf dem Weg Allahs“ lautet. Es stammt aus der Zeit von General Zia, der bewusst eine Islamisierung der unteren Ränge einführte. Darin wurde die Religion höher gestellt als die Nation. Doch diesen Spruch beanspruchen auch die Taliban für sich. Und sie tun es mit größerer Legitimität, kämpfen sie doch gegen und nicht auf Seiten der „gottlosen“ USA. Die Schwierigkeiten für einfache Soldaten, unter dieser Fahne gegen Islam-Kämpfer vorzugehen, sind in den letzten beiden Jahren immer deutlicher geworden. Sie äußern sich zum einen in der wachsenden Zahl eigener Opfer, die seit 2004 auf über eintausend gestiegen ist.

Noch fataler sind aber die Zahlen von Kapitulationen und Gefangennahmen. Im Swat-Tal, wo die Armee vor einer Woche Operationen gegen die Milizen des radikalen lokalen Predigers Maulana Fazlullah begann, gerieten bereits 150 Soldaten und Polizisten in Gefangenschaft, die meisten kampflos. Am Sonntag ließen die Taliban in Waziristan 211 Soldaten und Offiziere frei, die sich Anfang Oktober kampflos ergeben hatten. Musharraf warf der Truppe, die aus seinem eigenen Regiment kam, unprofessionelles Verhalten vor. Laut indischem Geheimdienst nahm die Zahl der Deserteure sprunghaft zu, allein in der Woche vom 11. bis 16. Oktober um 160.

Für eine Armee, die auf ihren Korpsgeist stolz ist, ist dies besorgniserregend. Es weckt nicht nur den Verdacht, dass sie für Anti-Guerilla-Operationen zu wenig geschult ist, sondern verweist auch auf Brüche im Selbstverständnis der unteren Ränge. Die auch materiell verhätschelten oberen Ränge wollen den Status quo behalten. Zu ihm gehört die enge Anlehnung an die USA inklusive damit verbundener Pfründe und Waffenlieferungen. Doch in den unteren Rängen, wo es neben religiösen auch ethnische Affinitäten gibt – die Mehrheit der in der Nordwestprovinz eingesetzten Soldaten sind selbst Paschtunen –, wird die Loyalität zu den Generälen fragwürdiger.

Die Armeeführung dürfte den Nutzen ihres Oberbefehlshabers auch in diesem Licht abwägen. Zumindest bei den unteren Offiziersrängen dürfte es gelegentlich Putschpläne geben. In drei der bisher vier Attentatsversuche gegen Musharraf gab es Verbindungen zu Armeeangehörigen. Die Falschmeldung vom Montag, Musharraf sei abgesetzt und von seinem Stellvertreter unter Hausarrest gesetzt worden, mag ein bösartiges Gerücht gewesen sein. Aber Gerüchte verbreiten sich nur, wenn sie eine gewisse Plausibilität haben.