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Archiv-Artikel

G-8-Protest: Staatsanwalt rüffelt Polizei

Blamage für die Sondereinheit Kavala: Sie warf fast 100 Menschen vor, während des G-8-Gipfels eine Autobahn lahmgelegt zu haben. Doch ein Strafverfahren wäre unzulässig, sagt die Rostocker Staatsanwaltschaft: Wer bremst, blockiert noch lange nicht

VON ULRICH SCHULTE

Die Bundesautobahn 19 hat bei Rostock in Höhe von Kilometer 96,5 zwei Spuren. Viel Platz zum Ausweichen gibt es nicht. Für Demonstranten, die eine Autobahn lahmlegen wollen, eine ausgezeichnete Stelle. „Ein Blockieren ist bereits möglich, wenn zwei Fahrzeuge ihre Geschwindigkeit bis zum Stillstand verringern.“ Diese Expertise stammt allerdings nicht von einer linken Gruppe. Sondern aus der Feder eines Rostocker Staatsanwalts.

Die Behörde nutzt ihre Ortskenntnis, um die Geschichte einer aufsehenerregenden Protestaktion während des G-8-Gipfels im Juni neu zu schreiben. In einer Verfügung, die der taz vorliegt, erklärt sie das Verfahren gegen fast 100 G-8-Gegner für nicht zulässig: Die Polizei habe „pauschalisiert und ohne genaue Ermittlungen“ Strafanzeige erstattet. Die juristische Watschen verbindet der Staatsanwalt auf fünf Seiten mit süffisanter Nachhilfe zur Blockadetaktik.

Der Reihe nach: Am Morgen des 6. Juni bremsen zwei Autos auf der Autobahn in Richtung Rostock, so dass kein Wagen mehr vorbeikommt. Die herbeigeeilten Beamten der Polizei-Sondereinheit Kavala leiten gegen 10.30 Uhr allerdings ganze 23 Autos auf den nächsten Parkplatz um – selbst verteilt auf zwei Spuren ist das eine lange Schlange. Polizisten zerren die 98 Menschen aus den Wagen und fesseln sie. Die angeblichen G-8-Störer werden in eine Gefangenensammelstelle transportiert, die meisten kommen erst spät in der Nacht wieder frei. Die Polizei zeigt später alle Festgenommenen an – wegen gefährlichen Eingriffs in den Verkehr und Nötigung. „Die Leute waren ohne jeden Anlass über 15 Stunden in Haft, ohne dass Anwälte mit ihnen reden durften“, erzählt die Hamburger Anwältin Ulrike Donat, die Betroffene vertritt.

Staatsanwalt und Rechtsanwältin stellen sich ähnliche Fragen: Warum sollen 23 Fahrer gleichzeitig abgebremst haben? Könnten Nummer 3 bis Nummer 23 nicht auch gezwungenermaßen aufs Pedal getreten haben? Sind die mutmaßlichen Nötiger in Wirklichkeit Genötigte? Wie können Leute, die auf Rückbank oder Beifahrersitz gesessen haben, der Mittäterschaft schuldig sein? Indem sie dem Fahrer die Augen zuhielten? „Es hätte ermittelt werden müssen, ob es einen gemeinsamen Tatbeschluss gab“, schreibt der Rostocker Staatsanwalt. Selbst wenn die Hintenstehenden mit der Blockade symphathisiert hätten, „haben sie sich dann nicht aktiv beteiligt, waren aber auch nicht verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass weitergefahren wird“.

Auch sind sich Juristen uneinig, ob eine Autobahnblockade eine Art von Gewalt darstellt. Ziel des Ausbremsens war es, „mit demonstrativen Blockaden“ zu verhindern, dass Delegationsteilnehmer zum Tagungsort in Heiligendamm gelangen, schreibt der Staatsanwalt. Die Aktivisten hätten niemanden schädigen wollen, die Blockade sei sehr kurz gewesen und die Auffassung der Polizei, die Protestler hätten Gewalt ausgeübt, sei unter Juristen umstritten – und in diesem Fall nicht haltbar.

Anwältin Donat erklärt das Verhalten der Polizei so: „Die mussten ihre völlig überzogenen Gewaltprognosen rechtfertigen“, sagt sie. „Sie haben so viele Übeltäter von der Straße gepflückt wie möglich. Da reichte schon eine schwarze Jacke als Grund.“

In diesen Wochen beginnen viele G-8-Prozesse. Von offizieller Seite ist kein Kommentar zur angeblichen Massenblockade zu bekommen. Die Kavala-Einheit ist aufgelöst, laut einer Sprecherin des Innenministeriums Mecklenburg-Vorpommern ist seitens der Polizei keine Stellungnahme zu erwarten: „Das ist schwierig. Da gibt es keinen Ansprechpartner mehr.“