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Archiv-Artikel

Deserteure nicht willkommen?

URTEIL Der Europäische Gerichtshof stellt schwer erfüllbare Anforderungen für Deserteure aus westlichen Staaten auf. Denn bei kriegerischem Vorgehen mit UN-Mandat sei gewährleistet, dass keine Kriegsverbrechen begangen werden

Deserteure, die das Töten im Krieg ablehnen, haben wenig Chancen auf Asyl-Anerkennung in der EU

VON CHRISTIAN RATH

US-Soldaten, die in Europa Asyl suchen, haben wenig Chancen auf Anerkennung. Im Fall des US-Deserteurs André Shepherd hat nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) strenge Maßstäbe definiert. Das Urteil hat aber auch Bedeutung für Deserteure aus anderen Teilen der Welt, etwa aus der Ukraine oder aus Syrien.

Der Hubschrauber-Mechaniker André Shepherd stellte 2008 als erster US-Deserteur einen Asylantrag in Deutschland (siehe Artikel unten). Er befürchtete, bei einem Einsatz im Irak in Kriegsverbrechen verwickelt zu werden. Shepherd berief sich auf eine EU-Richtlinie von 2004, die Mindestnormen für die Asyl-Anerkennung festlegt. Danach können Deserteure in der EU Asyl bekommen, wenn sie vor einem Konflikt flüchten, bei dem der Militärdienst auch Verbrechen umfassen würde. Diese Norm musste der EuGH nun erstmals näher auslegen.

Zunächst zeigten sich die Luxemburger Richter großzügig. So gelte die EU-Garantie nicht nur für Soldaten, sondern für alle Militärangehörigen, auch wenn sie nur logistische und unterstützende Aufgaben ausführen. Es genüge auch, wenn eine mittelbare Verwicklung in Kriegsverbrechen zu befürchten sei. Entscheidend ist, dass der Deserteur zumindest „eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Verbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde“. Auch ein Mechaniker kann also grundsätzlich Asyl beantragen. Außerdem, so der EuGH, komme es nicht darauf an, dass im jeweiligen Konflikt bereits Kriegsverbrechen festgestellt oder begangen wurden. Es genüge, wenn Kriegsverbrechen in Zukunft „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ begangen werden. Maßgeblich ist also das zukünftige Geschehen. Deshalb könne auch aus früheren Kriegsverbrechen einer Einheit „nicht automatisch“ geschlossen werden, dass diese auch künftig Kriegsverbrechen begehen werde.

Eine Reihe weitgehender Einschränkungen sorgt allerdings dafür, dass Asyl für Deserteure westlicher Staaten weitgehend unerreichbar bleiben wird. So nimmt der EuGH erstens an, dass bei kriegerischem Vorgehen mit UN-Mandat grundsätzlich gewährleistet sei, dass keine Kriegsverbrechen begangen werden. Die Annahme soll gelten, wenn die jeweilige Armee im Rahmen eines „internationalen Konsenses“ handelt. Zweitens sei es unplausibel, dass der Soldat eines Staates zu Kriegsverbrechen aufgefordert wird, in dem solche Verbrechen qua Gesetz mit Strafe bedroht werden und in dem es Gerichte gibt, die die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben sicherstellen.

Drittens muss die Desertion „das einzige Mittel“ darstellen, der Beteiligung an Kriegsverbrechen zu entgehen, so der Europäische Gerichtshof. Wenn der Soldat also eine legale Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung hat und diese nicht nutzt, kann er in der EU kein Asyl beanspruchen.

Der EuGH gibt damit nur die Maßstäbe vor. Die konkrete Entscheidung müssen die jeweils zuständigen nationalen Gerichte treffen, im Falle von André Shepherd also das Verwaltungsgericht München. Die nationalen Richter müssen dabei „alle relevanten Umstände“ prüfen.

Deserteure, die generell das Töten im Krieg ablehnen, haben wenig Chancen auf Asyl-Anerkennung in der EU. Schon die EU-Richtlinie erwähnt Deserteure nur, wenn sie die Beteiligung an Kriegsverbrechen vermeiden wollen. Andere Deserteure können nach der Richtlinie nur dann Asyl bekommen, wenn ihnen diskriminierende und unverhältnismäßig hohe Strafen drohen. US-Deserteuren wie André Shepherd droht neben der unehrenhaften Entlassung aus der Armee eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Solche Strafen seien jedoch „angesichts des legitimen Rechts des betreffenden Staats auf Unterhaltung einer Streitkraft“ nicht als unverhältnismäßig anzusehen, so der EuGH.

Pro Asyl kritisierte das Urteil. „Besonders bedenklich“ sei die Annahme, dass in UN-mandatierten Kriegen keine Kriegsverbrechen begangen werden. Hier werde „die Realität verdreht“, sagte Pro-Asyl-Sprecher Bernd Mesovic. (Az.: C-472/13)

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