piwik no script img

Archiv-Artikel

Ich sage Krieg und ich meine Krieg

„Jesus Camp“ heißt Heidi Ewings und Rachel Gradys Dokumentarfilm über die Indoktrination von Kindern durch christliche Fundamentalisten, die einen Glaubenskrieg führen. Die manipulativen Schnitte des Films machen sein Potenzial aber zunichte

VON DETLEF KUHLBRODT

„Jesus Camp“ von Heidi Ewing und Rachel Grady sorgt seit einem Jahr in den USA für erregte Diskussionen. Der Dokumentarfilm berichtet aus der Welt der wiedergeborenen Christen, deren bizarr anmutenden Ideologien bekannt sein dürften: Sie glauben an die Bibel im Wortlaut, kämpfen gegen die Evolutionstheorie, die Trennung von Staat und Religion und gegen Abtreibung, sie glauben an die Apokalypse und sind erfüllt von ihrer Mission, „die verkommene Welt“ wieder „gesund zu machen“.

„Jesus Camp“ streift die in tausend Artikeln behandelte Verbindung der Evangelikalen mit der politischen und juristischen Macht nur am Rande und konzentriert sich stattdessen vor allem auf das Sommercamp „Kids on fire“ in North Dakota. Dort werden die Kinder charismatischer Christen alljährlich drei Wochen lang in ihrem Glauben geformt und gefestigt.

Die angewandten Methoden ähneln denen, mit denen totalitäre Staaten oder Islamistengruppen wie die Hamas Kinder ab dem Vorschulalter erziehen. Man sieht die Kinder etwa mit Camouflagebemalung vor ihren stolzen Eltern Kriegstänze aufführen. Sie rufen „Steht auf!“ und „Folgt der Prophezeiung!“. Sie bekennen: „Ich gebe mich Gott hin!“ Die evangelikale Erweckungspredigerin Becky Fischer, die Hauptprotagonistin des Films, ruft: „Ich sage Krieg und ich meine Krieg! Seid ihr dabei oder nicht?“ Begeistert antworten die Kinder: „Yeah!“

In Trance liegen Kinder und reden in Zungen. Ein zehnjähriger Junge erklärt, er sei mit fünf zum wahren Christentum bekehrt worden. Ein anderer predigt und erklärt, es sei der Heilige Geist, der durch ihn rede. Ein kleines Mädchen sagt: „Ich spüre einen Ekel in meinem Bauch, wenn ich einem Ungläubigen begegne.“ Die christliche Popmusik ist mal Heavy Metal, mal Hiphop: „JC is in the house“.

Das Lachen bleibt einem im Halse stecken, wenn eine lebensgroße Pappfigur von George Bush gesegnet wird, wenn Becky Fischer erklärt: „Harry Potter würde den Tod verdienen. Das Alte Testament ist da ganz eindeutig.“ Und wenn ein Knuddelpastor in einem Lehrvideo grünen Schleim hochhält und fragt: „Glaubt ihr wirklich, dass wir daraus entstanden sind?“

Die Filmemacherinnen haben auf jeden Kommentar verzichtet. Die Stimme der Kritik haben sie dem Anwalt Mike Papantonio überlassen, der in seiner Radiosendung die evangelikale Szene seit Jahren bekämpft. Beim Gucken fühlt man sich immer schlechter. Das liegt auch daran, dass „Jesus Camp“ manipulatorisch komponiert und geschnitten ist, mit Spannungsbögen und teils dämonisch verzerrten Stimmen wie in einem Horrorfilm arbeitet (was durch das dramatisierend eingesprochene Deutsch ins Unerträgliche verstärkt wird). Die Filmemacherinnen interessieren sich nicht für die Geschichte ihrer Helden, sondern wollen Feindschaft erklären. Einen Moment stutzte man, aber dann kam es einem logisch vor, dass Becky Fischer in Interviews über die Filmerinnen sagte: „Sie haben großartige Arbeit geleistet. Ich finde, dass Sie unser Konzept wunderbar erfasst haben.“ Inzwischen hat die Pastorin bekanntgegeben, das Camp wegen negativer Reaktionen zu schließen und durch ein anderes Event zu ersetzen.

„Jesus Camp“. Regie: Heidi Ewing, Rachel Grady. 82 Min. Täglich im fsk Kino