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Archiv-Artikel

Einer beißt in den Staub

MUSIKKOMÖDIE Den Exzess wollen, aber nur ein dilettantisches Happening finden: Das Elekroduo Stereo Total scheitert im HAU an dem Versuch, aus toten Rock ’n’ Rollern eine trashige Revue herauszupressen

Das Ganze wird weder als irritierende Persiflage noch als Satire durchgehen

VON JAN SCHEPER

Da kommt die „Kriegsoma“. Marlene Dietrich stakst sichtlich betrunken über die Bühne. Den Titel hat ihr gerade Sid Vicious verpasst, der sich im Gegensatz zur Dietrich kaum auf den Beinen halten kann.

„Teenager“, blafft die blasse Diva zurück, während Vicious auf die Spritze von Doktor Nichopoulos wartet, der Drogen wie Sakramente verteilt. Währenddessen klopft es am Tor zur Unterwelt und Türsteher Zerberus hopst im Plüschkostüm zum Neuankömmling. Per Wadenbiss wird ermittelt, ob Courtney Love reindarf.

Es regieren Suff und Absurditäten in der „Hölle des Rock ’n ’Roll“, mit der das Berliner Elektropopduo Stereo Total („Liebe zu dritt“, „Schön von hinten“) bis zum 17. 11. im Hau 1 gastieren. Das erklärte Ziel der von Françoise Cactus und Brezel Göring selbst inszenierten „Musikkomödie“ ist es, „den ehrwürdigsten Konzertsaal in eine pulsierende Partymeile“ zu verwandeln und dem ganzen Trara eine „überraschende Lesart“ abzugewinnen. Allerdings fragt man sich nach ein paar Minuten des gut einstündigen Stücks, wo genau dieser Ansatz wohl stecken mag.

Denn alles, was da auf der Bühne als Exzess verhandelt wird, wirkt wie ein beißend dilettantisches Happening. Das Motto gibt Mephistopheles gleich zu Beginn selber aus: „Die Hölle des Rock ’n’ Roll ist der einzige Ort, wo es nach dem Tod noch lustig ist.“ Der Oberteufel gibt den Showmaster mit „böser Sexappealenergie“. Seine Gäste – unter anderem Johnny Thunders, Marilyn Monroe, Kurt Cobain – dürfen auf einer behelfsmäßigen „Wetten, dass ..?“-Couch sinnlos vor sich hinplappern.

Danach wird dann solo oder im Duett schief geträllert: Monroe und Dietrich versuchen sich an „Material Girl“, Freddie Mercury verhunzt „Another One Bites the Dust“. Währenddessen versucht John Lennon („populärer als Jesus“) den verdrogten Kollegen mit „Imagine“ kathartische Momente zu verschaffen. Damit ist der narrative Grund des anarchischen Elektromusicals gelegt, und Elvis thront fett und futternd dazu auf dem Höllenbett. Mehr kommt nicht. Bis auf einen theatralischen Infantilismus, den wahrscheinlich jede 10. Klasse per Schulaufführung deutlich besser hinkriegen würde.

Selbst wenn man das halbherzige Bühnenspektakel als diskursives Trash-Happening interpretieren will – Licht und Ton sind grauenhaft –, bleibt nicht viel Überzeugendes übrig. Weder Kurt Cobains Versuch, den eigenen Abschiedsbrief („verdammt traurig“) von einer Küchenrolle herunterzustammeln, noch der leidlich-programmatische Monolog („Wir klettern jeden Tag ein Stück weiter runter“) von Sid Vicious beherbergen einen Funken textuelle Überzeugungskraft.

Ein kleiner Lichtblick im ansonsten sehr blassen Ensemble um Elektro-MusikerInnen wie Anika Trost (Cobra Killer) und Chris Imler (Driver & Driver) ist Pascale Schiller, die neben der Dietrich noch Janis Joplin verkörpert. Auch die Idee, Courtney Love (Chloé Griffin) inklusive Paparazzi in den Partyhades zu mogeln, kann man noch ganz nett finden.

Bleibt die Frage, was man sich am Hau mit diesem Synthieimprogebrabbel gedacht hat. Oder ob man schlicht vergaß, einen Dramaturgen bei den Proben vorbeizuschicken. Das Ganze wird weder als irritierende Persiflage noch als Satire durchgehen – vielleicht mal als postdramatischer Husten. Man versteht kaum, was all das soll, und wartet auf Pointen, die die Langeweile durchbrechen könnten: So dürfte es auch dem ein oder anderen Protagonisten auf der Bühne gehen.

Der Name Stereo Total wird jedenfalls problemlos ausverkaufte Vorstellungen garantieren.

Françoise Cactus bemüht sich dann am Ende auch um ein resümierendes Ständchen zum gerade Gesehenen. Und einen Satz gibt es dann doch, der bezogen auf die „Musikkomödie“ hängenbleibt. Er gilt Kurt Cobain: „Wann hörst du endlich mal auf zu jammern.“

■ Stereo Total präsentiert: „In der Hölle des Rock ’n’ Roll“ – eine Musikkomödie mit Stereo Total und vielen Stargästen. Nächster Termin: 17. 11. 2011, 19.30 UHR, HAU 1