menschen auf hoher see
: Jetzt bitte alle in die Boote

Fünf Monate auf hoher See, fast jeden Tag legt das Schiff in einem anderen Hafen an. Eine kleine Welt für sich bildet sich an Bord. Eine (unvollständige) Beschreibung der Persönlichkeiten an Bord eines Kreuzfahrtschiffes.

Der Nörgler: „Das ist aber kein 5-Minuten-Ei“, sagt der Endfünfziger zu seiner Frau und schiebt das soeben geköpfte Glibber-Ei erbost vom Frühstücksteller. Mit vorwurfsvoller Miene steht er auf: „Dann muss ich mir wohl ein 10-Minuten-Ei holen.“

Der Besserwisser: „Der Reiseleiter im letzten Jahr hat uns allerdings gesagt, dass dies schon zwei Jahre vorher geschehen ist“, schiebt sich der Herr mit dem Krückstock und mit dem Besserwisser-Finger in die erste Reihe.

Die Dauergäste: „Da müssen Sie mal das Gedränge in Curaçao erleben, wenn ab dort mehr als 500 Gäste an Bord sein werden.“

Die Zufriedene: „Man sollte sich freuen, dass man Geld hat, gesund ist und dabei sein darf“, erzählt die vielleicht 60 Jahre alte Frau ihrer Nachbarin mit Blick auf die alten Bretterbuden, an denen der Reisebus vorbeifährt. Die Männer auf der Veranda schauen der Reisegruppe gelangweilt nach, in der Hand ein Carib-Bier.

Die Berufsoptimistin: „Liebe Gäste, wir sind im Hafen der schönen Karibikinsel Aruba. Gäste mit gebuchtem Ausflugsprogramm treffen sich in der Lounge. Leider haben wir ein wenig liquide sunshine heute Morgen. Aber das geht vorbei“, tönt es mit weiblichem Charme aus dem Lautsprecher. Draußen regnet es in Strömen.

Die Abgenervte: „Niemand darf aufstehen, bevor wir es ankündigen“, schnauzt die blonde, vielleicht 25 Jahre alte Frau die unruhig auf ihren Sitzen hin und her rutschenden Gäste an. Der kurze Pferdeschwanz ist durch die Festmachschlaufe der Schlägerkappe straff gezogen, die Mundwinkel sind leicht nach unten gezogen.

Der Fürsorgliche: „Wie geht es Ihnen denn heute?“, fragt der junge Mann im blauen Polohemd die ältere Dame, die sich mit dem Gehwagen in den Raum schiebt, in dem sich die Tagesausflügler treffen. „Wir sind wieder in der gleichen Gruppe. Schön!“

Der Beichtvater: „Was hatten Sie vorhin noch gesagt“, knüpft er wieder an das Gespräch an, nachdem er zuvor von einer anderen Dame unterbrochen worden war, die sich von hinten dazwischengeschoben hatte. Er kann zuhören, ist fast immer ansprechbar und vermittelt den Eindruck, stets ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Gäste zu haben. HANS-ULRICH DILLMANN